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Leseprobe Band 8

Krieg und Mord für Nepoten,
Beginn der Spanischen Inquisition

Francesco della Rovere, in relativ bescheidenen Verhältnissen 1414 in Celle (bei Savona/ Ligurien) geboren, wurde schon früh in ein Franziskanerkloster gebracht, stieg 1464 zum General seines Ordens auf, 1467 zum Kardinal, am 9. August 1471 zum Papst; wobei es noch bei den Krönungsfeierlichkeiten zu einem Volksaufruhr und Steinwürfen nach Sixtus’ Sänfte kam. (Und nach seinem Tod plünderten die Diözesanen die päpstlichen Räume so restlos aus, daß man die Leiche
mit einem geliehenen Talar bedecken mußte.)

Die Krönung des Rovere nahm Rodrigo Borgia vor, und wie dieser lebte auch Sixtus, der einstige Mönch, nicht gerade zölibatär, ein Papst, der Feste mit offiziellen Mätressen gab, der es noch mit einer Schwester, seinen Kindern trieb, der seine Lustknaben mit reichen Bistümern und Erzbistümern belohnte, der Freudenhäuser in Rom gründete (angeblich gar ein vornehmes lupanar «für beide Geschlechter»), die er an Kardinäle vermietete, während er von seinen Dirnen – jede siebte Römerin war eine Nutte – jährlich 20000 (nach Theiner: 80000) Dukaten Steuer einsteckte.

Doch soll der Heilige Vater, mit dem man die Hochrenaissance meist beginnen läßt, persönlich gütig und fromm gewesen sein, ein inniger Verehrer – ein «besonders schöner Zug» (von Pastor) – der heiligen Jungfrau, deren Kult er gefördert, der er zwei Marienkirchen in Rom errichtet hat, ja, der zu Ehren er 1476 sogar das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens einführte, der zudem ausdrücklich die nach ihm
benannte Sixtinische Kapelle geweiht worden ist. In der «Geschichte der Theologie» wird er so «immer genannt werden» (Jesuit Hertling). In der Geschichte päpstlicher Hurenböcke auch.

Immerhin gönnte er manch andren, was er selbst genoß; berichtet doch ein zeitgenössischer Chronist: «Als die Familie des Kardinals von St. Lucia ihm das Anliegen unterbreitete, während der drei heißen Monate des Jahres – Juni, Juli und August – die Erlaubnis zur Sodomie zu erhalten, schrieb der Papst unter ihre Bittschrift: ‹Es möge geschehen wie ersucht›. Dabei besaß Sixtus auch Sinn für Geld und Geschäft, wie
ja schon sein römischer Puff beweist, wenn freilich auch andere Bischöfe, Äbte und Oberinnen seinerzeit und nicht nur seinerzeit Hurenhäuser bauten oder kauften. Angeblich zwar hatte der Rovere, meint Franz Xaver Seppelt, «als Ordensmann, wie es oft zu beobachten ist, vom Wert des Geldes keine Ahnung». Doch nicht zufällig war er der erste Papst, der sein Konterfei auf Münzen setzen ließ. Er spekulierte
mit Finanzen, trieb den Fiskalismus hoch, vermehrte die käuflichen Ämter auf 625, auf mehr als das Doppelte. Er verkaufte Notariate, Protonotariate, Prokuratorenstellen bei derKammer, verkaufte ganze neue Kollegien, seltsame Titel darunter, wie ein Kollegium von hundert Janitscharen, für 100800 Dukaten ernannt. Er erhöhte die Steuern für Priester, die sich Mätressen hielten, erhöhte die Pfründenbesteuerung,
die Abgaben an den Kirchenstaat (69 Prozent der Gesamteinnahmen).
Seine Zehntauflagen, die päpstlichen «Türkenzehnten» erregten Proteste von Italien bis Polen, bis Schweden, Norwegen und verschärften die antipäpstliche Stimmung zumal in Deutschland. Sixtus erfand aber auch neue Einnahmequellen, indem er etwa reichen Männern gestattete,
«gewisse Matronen in Abwesenheit ihrer Ehemänner trösten
zu dürfen». Er handelte mit Ablässen, erlaubte sogar deren
Darbringung für Verstorbene, denen sie «fürbittweise» zukämen, und feierte 1475 ein Jubeljahr.

Auch hatte sich Sixtus, wie so viele Vorgänger, schon die höchste Würde der Christenheit mit allen simonistischen Praktiken beschafft. Er hatte seinen Protektor, den Herzog von Mailand, mit generösen Geschenken bestochen, wie sein Neffe und Begleiter Pietro Riario die Mehrheit der Kardinäle durch üppige Versprechen. Zunächst griff der neue Papst das drängendste Politikum, das alte Kreuzzugprogramm, anscheinend mit aller Begeisterung auf, freilich auch er nicht sehr erfolgreich. Zwar
steckte er viel Geld in die Aufrüstung seiner Flotte – allein 1471/1472, nach den Rechnungsbüchern, 144000 Golddukaten – und sandte im Frühjahr 1472 seine prominentesten Kardinäle nach Spanien, Frankreich, Deutschland, Polen, um die Fürsten für den Türkenkrieg zu motivieren. Doch man zeigte auch jetzt wieder geringes Interesse, und der Führer der päpstlichen Armada, Kardinal Oliviero Caraffa, von seinem
Herrn zum Admiral ernannt, kam trotz Prozession und dem Segnen der Banner und Galeeren durch Sixtus vor der Ausfahrt über einige bescheidene Ergebnisse im sogenannten Levantekrieg nicht hinaus. Gleichwohl wurde Caraffa 1473 – mit 25 erbeuteten Muselmanen auf 12 Kamelen – triumphal in Rom empfangen.

1476 erlaubte der Papst dem französischen König die Einführung
eines «Jubiläum»-Ablasses, wo er es wünsche: die Hälfte der einfließenden Gelder sollte der Verteidigung der Insel Rhodus zugute kommen, die andere der päpstlichen Kammer. In Schottland mußte zur Gewinnung des Jubiläumablasses die Kathedrale in Glasgow besucht werden: ein Drittel der Einnahmen gehörte der Kirche, zwei Drittel der
Kreuzzugskasse. In Ungarn wurde 1481 der Jubelablaß ein zweites Mal verkündet – zur Aufbringung des Geldes für den Türkenkrieg.
Sixtus aber war viel zu sehr innenpolitisch, das heißt durch Versorgung seiner Sippe, in Anspruch genommen, als daß er außenpolitisch größere Erfolge hätte haben können. Denn was er offenbar aufbauen wollte, unbestritten sein Hauptgeschäft, war eine Art Großnepotismus, eine umfassende Begünstigung der Seinen, der Riario, Basso, Giuppo, die alles diesbezüglich Dagewesene an Konsequenz und Umfang übertraf.

Ein wahrer Gnadenregen, ein Wolkenbruch von Pfründen und Privilegien ging auf den kinderreichen Anhang von zwei Brüdern und vier Schwestern des Papstes nieder, ebenso auf die Verwandten von Kardinälen. Die eigentlichen Türken, höhnten die Zeitgenossen, sind die Neffen des Papstes. Eine ganze Reihe seiner Nepoten, insgesamt sechs, machte Sixtus – zwei bereits, in offener Verletzung seines Wahlgelübdes, am 15. Dezember 1471 – zu Kardinälen: drei Rovere,
Giuliano, später Papst Julius II., der neben zahlreichen Abteien noch sechs Bistümer erhielt, Cristoforo, ein systematischer Pfründenjäger, und Hieronymus della Rovere sowie Pietro und Raffaele Riario, der erste mit fünfundzwanzig, der zweite mit siebzehn Jahren Kardinal; wobei «Neffen» damals häufig «Bastarde», wirkliche Söhne ihrer Heiligen Väter
waren. Von Pietro Riario (einem Kind vielleicht seiner eigenen Schwester) und von dessen Bruder Girolamo erscheint dies dem katholischen Papsthistoriker Kühner «mehr als wahrscheinlich». Wurden doch auch «Neffen» gleichfalls «Werkzeuge seiner infamen Vergnügungen».

Vor allem Pietro genoß des Papstes ganze Gunst. Er gabihm mehrere Abteien, vier Bistümer und ein Patriarchat, machte ihn zum Bischof von Treviso, zum Erzbischof von Sevilla, Valencia, Florenz sowie zum Patriarchen von Konstantinopel. Gerade noch armer Franziskanerbruder, bezog er jetzt ein Jahreseinkommen von mehr als 60000 Goldgulden.
Sein Luxus war sagenhaft. Hofdamen, die er beherbergte, konnten geschmeichelt in Nachtgeschirre aus vergoldetem Silber pissen. Bei seinen öffentlichen Banketten agierten gelegentlich Schauspieler, Künstler, Poeten, bedienten Domestiken in Seide gehüllt mit vollendeter Kunst, kam ein Gang nach dem andern, mit Trompeten und Flöten angekündigt, Wildschweine samt Fell erschienen gebraten auf der Tafel,
ganze Damhirsche, ein Bär sogar, Pfauen mit ihren Federn, Störche, Kraniche, übersilberte Fische, Konfekt in den verschiedensten
Farben und Formen – und seine Mätresse war «vom Scheitel bis zur Sohle» mit Perlen übersät.

Zur Kurie sprengte Kardinal Pietro mit hundert Rassepferden, Italien durchreiste er als Legat mit unglaublichem Pomp und einzigartigen Vollmachten, vergöttert vom Volk, hofiert von Purpurträgern, in Mailand wie in Venedig mit königlichen Ehren empfangen. Und als er nach zwei Jahren, nach wahnsinnigen Extravaganzen, Ausschweifungen, am 5. Januar1474 kaum achtundzwanzigjährig starb, hatte er 200000,
laut anderen Berichten 300000 Goldgulden verpraßt, einen Berg Schulden hinterlassen, sich buchstäblich zu Tode koitiert – und erhielt auch noch durch Mino da Fiesole eines der schönsten Grabmäler aller Zeiten. Sixtus IV. aber wandte jetzt seine Fürsorge besonders Girolamo Riario, Pietros Bruder zu. Dieser war inzwischen vom Gemüsehändler zum Grafen von Bosco aufgestiegen und wurde Gemahl der berühmten Caterina Sforza, der illegitimen Tochter des Herzogs Galeazzo Maria, der als Mörder seiner Mutter galt und an Weihnachten 1476 erst dreiunddreißigjährig in der Mailänder Kirche San Stefano unter den
Dolchen junger Adeliger fiel – alles Christen, um nur beiläufig
einmal daran zu erinnern.

Der Onkel oder Vater, der Heilige Vater jedenfalls, kaufte Girolamo Riario für 40000 Dukaten die Grafschaft Imola, investierte ihn auch mit der Grafschaft Forlí (wo ihn 1488 Tyrannenmörder erdolchten) und suchte ihm weitere Städte, Faenza, Ravenna, Rimini, die ganze Romagna zuzuschanzen – die intendierte Basis eines päpstlichen Nepotenreichs,
«eines eigenen Staates», wobei Sixtus «rücksichtslos militärische
und geistliche Waffen einsetzte» und «alle bis dahin geltenden Grenzen des Nepotismus» übertrat (Jaitner).

Fast während seines ganzen Pontifikats war Sixtus IV. vor allem mit kirchenstaatlicher und italienischer Territorialpolitik befaßt, das heißt mit der Fürsorge für seine Familie. Darum führte er Kriege, darum intrigierte, täuschte, konspirierte er, kam es zu schweren politischen Erschütterungen, zu Rebellionen und Feldzügen. Und all dies natürlich unter metapolitischen Bekundungen, vorgespiegelten höheren Zielen,
unter dem Deckmantel seines priesterlichen Amtes undder Religion. Mit viermal wechselnden Kriegsbündnissen versuchte Sixtus Mailand, Florenz, die Romagna, Ferrara und Neapel dem Grafen Girolamo Riario in die Hände zu spielen. Dabei kam es zur Verschwörung der Pazzi, die, so heuteder Schweizer Historiker Volker Reinhardt, die Phantasie von
Autoren politischer Thriller unserer Tage als ärmlich erweist: die Konspiration einiger superreicher Florentiner Familien gegen die Florenz beherrschende, allmählich aber sinkende Macht der Medici. Doch war das Komplott «in Rom vorbereitet worden» (Handbuch der europäischen Geschichte),«unter wohlwollender Ägide des Papstes» (Reinhardt). Sixtus IV., der seine Geldgeschäfte seit kurzem den Medici – traditionell
die Bankiers der Päpste – entzogen und dem römischen Bankhaus der Pazzi anvertraut hatte, kooperierte auch politisch mit ihnen. Er war eingeweiht, billigte und wünschte den Florentiner Staatsstreich, nur das Ausmaß seines Einverständnisses ist, wie gewöhnlich in solchen Fällen, umstritten.

Doch war selbstverständlich, daß das alles ohne Mord und Totschlag, ohne die physische Vernichtung der Medici-Häupter nicht geschehen konnte, und die eigentlichen Drahtzieher offenbar der Papst und Girolamo Riario gewesen sind. Sie wollten expandieren, in Florenz eine Signorie bekommen,jedenfalls die Stadt unter Herrschaft der Pazzi in ihrenMachtbereich einbeziehen. Zwischen ihnen und den Verschwörern
fungierte als Verbindungsmann der von den Medici abgelehnte junge Erzbischof Francesco Salviati von Pisa, dem man das Erzbistum Florenz versprochen. Da Lorenzo und Giuliano Medici nach diversen Planänderungen am Sonntag, dem 26. April 1478, während eines
Hochamtes im Dom von Florenz erdolcht werden sollten, der zunächst gedungene päpstliche Hauptmann Giambattista da Montesecco die Sache aber lieber nicht so feierlich, nur außerhalb der Kirche, an einem ungeweihten Ort erledigen wollte, sprangen zwei weniger Empfindliche und am Umgang mit Höherem, Heiligem besser Gewöhnte für ihn ein:
Antonio Maffei von Volterra und der apostolische Sekretär
Stefano von Bagnorea. Wohl während der Wandlung, vor erhobener
Hostie, wurde Giuliano Medici am Hochaltar wundenreich abgeschlachtet, mit vorsorglich immerhin 19 Messerstichen, während die Hauptperson Lorenzo Medici il Magnifico, in der Arnostadt fürstengleich gestellt, infolge eines Brustpanzers unter seiner Kleidung leicht verletzt entkam (nicht ohne daß Girolamo später noch mehrmals versucht hätte, ihn ermorden zu lassen). Und weil die Florentiner in der Vendetta gegen die Putschisten standen, baumelten bald Angehörige der Familie Pazzi, Erzbischof Salviati von Pisa u. a. an den Fenstern des Palazzo della Signoria, bis die Menge die hinabgestürzten Leichen auf der Straße in Stücke riß. Auch beide Meuchelmörder hauchten ihr geistliches Leben aus. Und bis 1480 dauerten die Hinrichtungen fort.

Sixtus IV. aber schleuderte Bannflüche um sich, exkommunizierte
den verdammten Priestermörder Lorenzo Medici samt Anhang, verhängte das Interdikt über die Stadt, beschlagnahmte alle florentinischen Güter in Rom, stachelte die Schweizer zum Einfall in Italien auf, so daß ihre bewaffneten Haufen in der Poebene erschienen, und führte selbst,
unterstützt von Neapel, einen schadenreichen Krieg gegen Florenz, das indes den Beistand von Mailand, Venedig, Ferrara, Frankreich nebst weiteren fand. Als jedoch auch Ferrante vom Papst absprang und zudem die Eroberung Otrantos erfolgte, zog es Sixtus vor, mit Venedig ein Bündnis, mit Florenz Frieden zu schließen.

Dem Krieg gegen Florenz folgte der sogenannte Ferrarakrieg (1481–1484). Der Papst kämpfte nun im Bund mit Venedig, das erst zögerte, erst scharf gemacht werden mußte mit Ferrara «gleichsam als Lockspeise» (Kretschmayr), indes er mit venezianischem Beistand für Girolamo Riario das Königreich Neapel gewinnen, aber auch Venedig austricksen, nämlich Ferrara nicht den Venezianern, sondern gleichfalls
dem Nepoten geben wollte. Das üble Spiel des Papstes riß den größten Teil Italiens in die Kriegsflammen hinein. Außer Venedig stand noch eine Reihe von weniger bedeutenden Dynasten und Städten zu Sixtus, während auf die Seite Ferraras Neapel, Florenz und Mailand traten. Doch war auch Rom selbst, von Meuchelmördern und anderen Gangstern
wimmelnd, wie so oft, zerstritten. Für den Papst schlugen sich die Orsini, gegen ihn die Colonna und Savelli, obwohl auch all diese Familien wieder gespalten waren. Die Blutrache brach unter den Christensöhnen aus, Straßenkämpfe tobten, Köpfe fielen, auf Altären und in Sakristeien
würfelte und tafelte das Kriegsvolk. Und der Heilige Vater kerkerte sogar die Kardinäle Colonna, Giambattista Savelli sowie dessen Bruder Matiano in der Engelsburg ein. Doch wurde auch Roms Umgebung in Mitleidenschaft gezogen; verschwanden ja überhaupt im 14. und 15. Jahrhundert 25 Prozent der Dörfer im Umland der Heiligen Stadt. Inzwischen lagen neapolitanische Kriegsschiffe, zwanzig Dreiruderer unter Ferrante, vor Ostia und beunruhigten die Küste, operierte Herzog Alfons von Kalabrien, Ferrantes Sohn, im Kirchenstaat und drang, selbst moslemische Reiter unter seinen Scharen, brandschatzend beinah täglich bis vor die Tore Roms. Dort, wo auch noch die Pest ausbrach, ließ der Papst nach Ankunft des Roberto Malatesta, des jungen
Dynasten von Rimini, mit venezianischer Verstärkung am 15. August 1482, von einem Vatikanfenster aus sein Kanonenfutter segnend, an sich vorüberziehen: Reiter, Armbrustschützen, aber auch Büchsenträger, Artillerie und über 9000 Mann Fußvolk. Und wenige Tage darauf siegte man in der Schlacht von Campo Morto (Totenfeld) südöstlich von Rom in den malariaverseuchten Pontinischen Sümpfen unter Führung des
Malatesta. Auf beiden Seiten fochten Orsini, Colonna, Savelli, über tausend Menschen starben elend, und Sixtus bejubelte die Freudenbotschaft und gab sie an die Venezianer weiter, an die befreundeten Staaten. Er ließ alle Kirchenglocken läuten und besuchte selbst einen Dankgottesdienst in Santa Maria del Popolo.

Nur drei Wochen nach seinem Sieg verschied Roberto Malatesta am Sumpffieber. Mit allen Ehren verschwand er unter St. Peter – und schon trieb der Heilige Vater Girolamo nach Rimini, um Malatestas Witwe samt Sohn Pandolfo, einem Kind noch, ihr Erbe zu entreißen. Allein die Florentiner verhinderten das Schurkenstück. Dem Papst aber schien
es infolge gewisser Umstände wieder einmal opportun, die Front zu wechseln. Er trennte sich von Venedig und verband sich mit dem eben noch blutig bekämpften Neapel. Gegen Venedig verhängte er im Sommer 1483 das Interdikt und schleuderte den Bann, freilich ohne Wirkung. Die Feindseligkeiten rissen nicht ab. In Rom, wo Sixtus und der Schrecken der Stadt, Graf Riario, mit den Orsini gegen die Colonna standen, raubte man Kirchen und Häuser aus, riß Paläste nieder, baute Schanzen, erstürmte Barrikaden, warf Feuerbrände. Man sperrte ein, folterte, vertrieb, erstach und köpfte, prominente Häupter fielen. Einmal sterben in einem nur zweistündigem Kampf auf der Seite der Colonna etwa vierzig, auf der Gegenseite dreizehn Menschen.

Der Krieg dehnte sich auf ganz Latium aus, wo der Papst die Colonna vernichten, ausrotten wollte, um mit ihren Gütern und Reichtümern den vergötterten Nepoten auszustatten, der seinerseits Geld von den Kirchen Roms erpreßte, während Vater Sixtus seine Haudegen mit Artillerie ausrüstete, Kanonen segnete und die Hände zum Himmel streckte,
ohne sich durchsetzen zu können. Wider Willen mußte er den für Venedig günstigen, für ihn enttäuschenden Frieden von Bagnolo am 7. August 1484 hinnehmen und starb – wie es heißt aus Wut darüber.

Ein besonderes Ruhmesblatt erwarb sich Sixtus IV. als einer der wirksamsten Förderer der «neuen» Inquisition. Erlaubte er doch ihre Einführung durch eine spezielle Bulle vom 1. November 1478 Ferdinand V. von Aragón und Isabella von Kastilien. Das Herrscherpaar wurde bevollmächtigt, alle «Ketzer» seines Reiches (zumal die vermeintlich judaisierenden Konvertiten, die «Neuchristen», die man zuerst zum
Übertritt gezwungen, dann der Unehrlichkeit verdächtigt hatte) zu verhaften, zu richten und ihr Eigentum zugunsten des Papstes, der spanischen Krone und natürlich des hochverdienten «heiligen Tribunals» zu konfiszieren. Man ging jetzt mit massenhaften Exekutionen gegen die Opfer vor, verbrannte sie entweder – mit vervollkommneter
«Todestechnik» – lebendig oder nachdem man sie zuvor erwürgt, «garottiert» hatte; eine Methode u. a. von Straßenräubern, die den Auszuraubenden durch eine übergeworfene Schlinge bewußtlos machten; die Garrotteure der Inquisition brachten die gleichfalls auszuraubenden «Ketzer» um, was jedoch als Zeichen besonderer Barmherzigkeit galt, als Gnadenerweis der geistlichen Henker.

Nachdem die Pest viele Eingekerkerte hinweggerafft, grub man noch deren Leichen aus, um die Überbleibsel richten und ihr Erbe von den Verwandten kassieren zu können. Das Spitzelwesen, das Denunziantentum grassierte und wurde von der Kirche in Predigt
und Beichte als gottwohlgefällig gefördert. Damit geht die schrecklichste und schändlichste Ausgeburt menschlichen Geistes, päpstlich autorisiert, königlich kontrolliert, grausamer und gründlicher als irgendwo, ihrem Höhepunkt entgegen, ein nahezu perfektes Massenmordinstrument, ein systematisch ausgeklügelter Terror, der, beispielhaft für analoge Einrichtungen in der Welt, noch mehr
als drei Jahrhunderte dauert, bis 1834. Begreiflicherweise befürwortet der päpstliche Nuntius in Spanien, Nicolas Franco, die pastorale Sache, die vielfach nur die Wahl zwischen Taufe und Tod läßt, wärmstens. Und seine Heiligkeit ernennt wiederholt, 1480 und 1482, Inquisitoren
für Spanien, darunter der Dominikanermönch Tomás de Torquemada
(1420–1498), Neffe des Kardinals Juan de Torquemada (Turrecremata), eines der führenden Gegner der Lehrevon der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Papst Sixtus bestätigt ihn 1483 als Großinquisitor für Kastilien und Aragón, worauf er den Titel führt: «Wir, Bruder Thomas Torquemada,
Mönch des Ordens der Predigerbrüder, Prior des Klosters des Heiligen Kreuzes in Segovia, Beichtvater des Königs und der Königin, unserer Herrscher, und Generalinquisitor in allen ihren Königreichen und Besitzungen gegen die häretische Verderbtheit, ernannt und bevollmächtigt durch den Heiligen Apostolischen Stuhl.»

Dieses katholische Superscheusal, das führend das große
Judenpogrom von 1492 mit vorbereitet und in dem von ihm noch gegen sein Lebensende gegründeten Dominikanerkonvent Santo Tomás (de Aquino) statutarisch auf «Reinheit des Blutes» (limpieza de sangre) als Norm besteht, jagt nun vor allem die angeblich judaisierenden «Neuchristen», Juden also, die Christen geworden waren. Die Scheiterhaufenexzesse werden als regelrechte Volksschauspiele begangen und noch unter Sixtus an drei Tagen in Toledo 2400 Marranen verbrannt, wie die zum Katholizismus konvertierten Juden hießen, was «Schweine» bedeutet. Als eigentlicher Begründer der Spanischen Inquisition, die insgesamt über 300000 Menschen vernichtet haben soll, als Organisator wie Ideologe ihres Terrors, hat Torquemada, der sich für «ein Instrument der göttlichen Vorsehung» hielt und somit auch von seinem Gewissen her alles erlauben konnte, in seinem achtzehnjährigen Wirken als Leiter des Inquisitionstribunals 10220 Menschen lebend verbrannt, 6840 «in effigie» (d. h. in Bildgestalt), weil sie verstorben oder geflohen waren. 97321 wurden durch ihn aus staatlichen oder sonstigen Ämtern gestoßen und ehrlos, insgesamt somit etwa 114300 Familien für immer ruiniert – Angaben Juan Antonio
Llorentes, des späteren Sekretärs der Spanischen Inquisition, der sich dabei auf deren Archive stützt. «Darin sind nicht eingeschlossen jene Personen, die wegen ihrer Verbindungen zu den Verurteilten mehr oder weniger deren Unglück teilen mußten . . .»

Noch 1484, in seinem Todesjahr, übermittelte Papst Sixtus IV. ein Lob des Kardinals Borgia an den spanischen Großinquisitor und ergänzte seinerseits: «Wir haben dieses Lob mit großer Freude vernommen und sind darüber begeistert, daß Ihr, reich an Kenntnissen und bekleidet mit Macht, all Eure Anstrengungen auf solche Gegenstände richtet, die den
Namen des Herrn erhöhen und dem wahren Glauben nützlich sind. Wir rufen auf Euch Gottes Segen herab und ermuntern Euch, teurer Sohn, mit der früheren Energie fortzufahren und unermüdlich der Sicherung und Festigung der Grundlagen der Religion zu dienen; in dieser Angelegenheit könnt ihr stets auf unser besonderes Wohlwollen rechnen.»

Auf sein Wohlwollen nicht mehr rechnen konnte in jenem Jahr sein früherer enger Studienfreund, der Dominikaner Andrea Zamometi, ein vornehmer Balkanese, von Sixtus 1476 zum Titularerzbischof von Granea (bei Saloniki) erhoben. Als der Prälat aber, zeitweilig kaiserlicher Gesandter in Rom, die Zustände am päpstlichen Hof scharf zu kritisieren
begann, ließ ihn Sixtus in die Engelsburg werfen. Und als er, dank kaiserlicher Intervention befreit, daranging, die Reform von Kirche und Kurie zu fordern und das allgemeine Basler Konzil (mit Zitation des Papstes) wieder zu beleben, landete Erzbischof Zamometi erneut im Kerker, diesmal durch den Kaiser und in Basel, wo man ihn zwei Jahre später, 1484, erdrosselt in seiner Zelle fand.

 

 

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Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 22.03.2004 - Änderungen vorbehalten -