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Leseprobe Band 8
Krieg und Mord für Nepoten,
Beginn der Spanischen Inquisition
Francesco della Rovere, in relativ bescheidenen Verhältnissen
1414 in Celle (bei Savona/ Ligurien) geboren, wurde schon früh in
ein Franziskanerkloster gebracht, stieg 1464 zum General seines Ordens
auf, 1467 zum Kardinal, am 9. August 1471 zum Papst; wobei es noch bei
den Krönungsfeierlichkeiten zu einem Volksaufruhr und Steinwürfen
nach Sixtus’ Sänfte kam. (Und nach seinem Tod plünderten
die Diözesanen die päpstlichen Räume so restlos aus, daß
man die Leiche
mit einem geliehenen Talar bedecken mußte.)
Die Krönung des Rovere nahm Rodrigo Borgia vor, und
wie dieser lebte auch Sixtus, der einstige Mönch, nicht gerade zölibatär,
ein Papst, der Feste mit offiziellen Mätressen gab, der es noch mit
einer Schwester, seinen Kindern trieb, der seine Lustknaben mit reichen
Bistümern und Erzbistümern belohnte, der Freudenhäuser
in Rom gründete (angeblich gar ein vornehmes lupanar «für
beide Geschlechter»), die er an Kardinäle vermietete, während
er von seinen Dirnen – jede siebte Römerin war eine Nutte –
jährlich 20000 (nach Theiner: 80000) Dukaten Steuer einsteckte.
Doch soll der Heilige Vater, mit dem man die Hochrenaissance
meist beginnen läßt, persönlich gütig und fromm gewesen
sein, ein inniger Verehrer – ein «besonders schöner Zug»
(von Pastor) – der heiligen Jungfrau, deren Kult er gefördert,
der er zwei Marienkirchen in Rom errichtet hat, ja, der zu Ehren er 1476
sogar das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens einführte,
der zudem ausdrücklich die nach ihm
benannte Sixtinische Kapelle geweiht worden ist. In der «Geschichte
der Theologie» wird er so «immer genannt werden» (Jesuit
Hertling). In der Geschichte päpstlicher Hurenböcke auch.
Immerhin gönnte er manch andren, was er selbst genoß;
berichtet doch ein zeitgenössischer Chronist: «Als die Familie
des Kardinals von St. Lucia ihm das Anliegen unterbreitete, während
der drei heißen Monate des Jahres – Juni, Juli und August
– die Erlaubnis zur Sodomie zu erhalten, schrieb der Papst unter
ihre Bittschrift: ‹Es möge geschehen wie ersucht›. Dabei
besaß Sixtus auch Sinn für Geld und Geschäft, wie
ja schon sein römischer Puff beweist, wenn freilich auch andere Bischöfe,
Äbte und Oberinnen seinerzeit und nicht nur seinerzeit Hurenhäuser
bauten oder kauften. Angeblich zwar hatte der Rovere, meint Franz Xaver
Seppelt, «als Ordensmann, wie es oft zu beobachten ist, vom Wert
des Geldes keine Ahnung». Doch nicht zufällig war er der erste
Papst, der sein Konterfei auf Münzen setzen ließ. Er spekulierte
mit Finanzen, trieb den Fiskalismus hoch, vermehrte die käuflichen
Ämter auf 625, auf mehr als das Doppelte. Er verkaufte Notariate,
Protonotariate, Prokuratorenstellen bei derKammer, verkaufte ganze neue
Kollegien, seltsame Titel darunter, wie ein Kollegium von hundert Janitscharen,
für 100800 Dukaten ernannt. Er erhöhte die Steuern für
Priester, die sich Mätressen hielten, erhöhte die Pfründenbesteuerung,
die Abgaben an den Kirchenstaat (69 Prozent der Gesamteinnahmen).
Seine Zehntauflagen, die päpstlichen «Türkenzehnten»
erregten Proteste von Italien bis Polen, bis Schweden, Norwegen und verschärften
die antipäpstliche Stimmung zumal in Deutschland. Sixtus erfand aber
auch neue Einnahmequellen, indem er etwa reichen Männern gestattete,
«gewisse Matronen in Abwesenheit ihrer Ehemänner trösten
zu dürfen». Er handelte mit Ablässen, erlaubte sogar deren
Darbringung für Verstorbene, denen sie «fürbittweise»
zukämen, und feierte 1475 ein Jubeljahr.
Auch hatte sich Sixtus, wie so viele Vorgänger, schon
die höchste Würde der Christenheit mit allen simonistischen
Praktiken beschafft. Er hatte seinen Protektor, den Herzog von Mailand,
mit generösen Geschenken bestochen, wie sein Neffe und Begleiter
Pietro Riario die Mehrheit der Kardinäle durch üppige Versprechen.
Zunächst griff der neue Papst das drängendste Politikum, das
alte Kreuzzugprogramm, anscheinend mit aller Begeisterung auf, freilich
auch er nicht sehr erfolgreich. Zwar
steckte er viel Geld in die Aufrüstung seiner Flotte – allein
1471/1472, nach den Rechnungsbüchern, 144000 Golddukaten –
und sandte im Frühjahr 1472 seine prominentesten Kardinäle nach
Spanien, Frankreich, Deutschland, Polen, um die Fürsten für
den Türkenkrieg zu motivieren. Doch man zeigte auch jetzt wieder
geringes Interesse, und der Führer der päpstlichen Armada, Kardinal
Oliviero Caraffa, von seinem
Herrn zum Admiral ernannt, kam trotz Prozession und dem Segnen der Banner
und Galeeren durch Sixtus vor der Ausfahrt über einige bescheidene
Ergebnisse im sogenannten Levantekrieg nicht hinaus. Gleichwohl wurde
Caraffa 1473 – mit 25 erbeuteten Muselmanen auf 12 Kamelen –
triumphal in Rom empfangen.
1476 erlaubte der Papst dem französischen König
die Einführung
eines «Jubiläum»-Ablasses, wo er es wünsche: die
Hälfte der einfließenden Gelder sollte der Verteidigung der
Insel Rhodus zugute kommen, die andere der päpstlichen Kammer. In
Schottland mußte zur Gewinnung des Jubiläumablasses die Kathedrale
in Glasgow besucht werden: ein Drittel der Einnahmen gehörte der
Kirche, zwei Drittel der
Kreuzzugskasse. In Ungarn wurde 1481 der Jubelablaß ein zweites
Mal verkündet – zur Aufbringung des Geldes für den Türkenkrieg.
Sixtus aber war viel zu sehr innenpolitisch, das heißt durch Versorgung
seiner Sippe, in Anspruch genommen, als daß er außenpolitisch
größere Erfolge hätte haben können. Denn was er offenbar
aufbauen wollte, unbestritten sein Hauptgeschäft, war eine Art Großnepotismus,
eine umfassende Begünstigung der Seinen, der Riario, Basso, Giuppo,
die alles diesbezüglich Dagewesene an Konsequenz und Umfang übertraf.
Ein wahrer Gnadenregen, ein Wolkenbruch von Pfründen
und Privilegien ging auf den kinderreichen Anhang von zwei Brüdern
und vier Schwestern des Papstes nieder, ebenso auf die Verwandten von
Kardinälen. Die eigentlichen Türken, höhnten die Zeitgenossen,
sind die Neffen des Papstes. Eine ganze Reihe seiner Nepoten, insgesamt
sechs, machte Sixtus – zwei bereits, in offener Verletzung seines
Wahlgelübdes, am 15. Dezember 1471 – zu Kardinälen: drei
Rovere,
Giuliano, später Papst Julius II., der neben zahlreichen Abteien
noch sechs Bistümer erhielt, Cristoforo, ein systematischer Pfründenjäger,
und Hieronymus della Rovere sowie Pietro und Raffaele Riario, der erste
mit fünfundzwanzig, der zweite mit siebzehn Jahren Kardinal; wobei
«Neffen» damals häufig «Bastarde», wirkliche
Söhne ihrer Heiligen Väter
waren. Von Pietro Riario (einem Kind vielleicht seiner eigenen Schwester)
und von dessen Bruder Girolamo erscheint dies dem katholischen Papsthistoriker
Kühner «mehr als wahrscheinlich». Wurden doch auch «Neffen»
gleichfalls «Werkzeuge seiner infamen Vergnügungen».
Vor allem Pietro genoß des Papstes ganze Gunst. Er
gabihm mehrere Abteien, vier Bistümer und ein Patriarchat, machte
ihn zum Bischof von Treviso, zum Erzbischof von Sevilla, Valencia, Florenz
sowie zum Patriarchen von Konstantinopel. Gerade noch armer Franziskanerbruder,
bezog er jetzt ein Jahreseinkommen von mehr als 60000 Goldgulden.
Sein Luxus war sagenhaft. Hofdamen, die er beherbergte, konnten geschmeichelt
in Nachtgeschirre aus vergoldetem Silber pissen. Bei seinen öffentlichen
Banketten agierten gelegentlich Schauspieler, Künstler, Poeten, bedienten
Domestiken in Seide gehüllt mit vollendeter Kunst, kam ein Gang nach
dem andern, mit Trompeten und Flöten angekündigt, Wildschweine
samt Fell erschienen gebraten auf der Tafel,
ganze Damhirsche, ein Bär sogar, Pfauen mit ihren Federn, Störche,
Kraniche, übersilberte Fische, Konfekt in den verschiedensten
Farben und Formen – und seine Mätresse war «vom Scheitel
bis zur Sohle» mit Perlen übersät.
Zur Kurie sprengte Kardinal Pietro mit hundert Rassepferden,
Italien durchreiste er als Legat mit unglaublichem Pomp und einzigartigen
Vollmachten, vergöttert vom Volk, hofiert von Purpurträgern,
in Mailand wie in Venedig mit königlichen Ehren empfangen. Und als
er nach zwei Jahren, nach wahnsinnigen Extravaganzen, Ausschweifungen,
am 5. Januar1474 kaum achtundzwanzigjährig starb, hatte er 200000,
laut anderen Berichten 300000 Goldgulden verpraßt, einen Berg Schulden
hinterlassen, sich buchstäblich zu Tode koitiert – und erhielt
auch noch durch Mino da Fiesole eines der schönsten Grabmäler
aller Zeiten. Sixtus IV. aber wandte jetzt seine Fürsorge besonders
Girolamo Riario, Pietros Bruder zu. Dieser war inzwischen vom Gemüsehändler
zum Grafen von Bosco aufgestiegen und wurde Gemahl der berühmten
Caterina Sforza, der illegitimen Tochter des Herzogs Galeazzo Maria, der
als Mörder seiner Mutter galt und an Weihnachten 1476 erst dreiunddreißigjährig
in der Mailänder Kirche San Stefano unter den
Dolchen junger Adeliger fiel – alles Christen, um nur beiläufig
einmal daran zu erinnern.
Der Onkel oder Vater, der Heilige Vater jedenfalls, kaufte
Girolamo Riario für 40000 Dukaten die Grafschaft Imola, investierte
ihn auch mit der Grafschaft Forlí (wo ihn 1488 Tyrannenmörder
erdolchten) und suchte ihm weitere Städte, Faenza, Ravenna, Rimini,
die ganze Romagna zuzuschanzen – die intendierte Basis eines päpstlichen
Nepotenreichs,
«eines eigenen Staates», wobei Sixtus «rücksichtslos
militärische
und geistliche Waffen einsetzte» und «alle bis dahin geltenden
Grenzen des Nepotismus» übertrat (Jaitner).
Fast während seines ganzen Pontifikats war Sixtus
IV. vor allem mit kirchenstaatlicher und italienischer Territorialpolitik
befaßt, das heißt mit der Fürsorge für seine Familie.
Darum führte er Kriege, darum intrigierte, täuschte, konspirierte
er, kam es zu schweren politischen Erschütterungen, zu Rebellionen
und Feldzügen. Und all dies natürlich unter metapolitischen
Bekundungen, vorgespiegelten höheren Zielen,
unter dem Deckmantel seines priesterlichen Amtes undder Religion. Mit
viermal wechselnden Kriegsbündnissen versuchte Sixtus Mailand, Florenz,
die Romagna, Ferrara und Neapel dem Grafen Girolamo Riario in die Hände
zu spielen. Dabei kam es zur Verschwörung der Pazzi, die, so heuteder
Schweizer Historiker Volker Reinhardt, die Phantasie von
Autoren politischer Thriller unserer Tage als ärmlich erweist: die
Konspiration einiger superreicher Florentiner Familien gegen die Florenz
beherrschende, allmählich aber sinkende Macht der Medici. Doch war
das Komplott «in Rom vorbereitet worden» (Handbuch der europäischen
Geschichte),«unter wohlwollender Ägide des Papstes» (Reinhardt).
Sixtus IV., der seine Geldgeschäfte seit kurzem den Medici –
traditionell
die Bankiers der Päpste – entzogen und dem römischen Bankhaus
der Pazzi anvertraut hatte, kooperierte auch politisch mit ihnen. Er war
eingeweiht, billigte und wünschte den Florentiner Staatsstreich,
nur das Ausmaß seines Einverständnisses ist, wie gewöhnlich
in solchen Fällen, umstritten.
Doch war selbstverständlich, daß das alles ohne
Mord und Totschlag, ohne die physische Vernichtung der Medici-Häupter
nicht geschehen konnte, und die eigentlichen Drahtzieher offenbar der
Papst und Girolamo Riario gewesen sind. Sie wollten expandieren, in Florenz
eine Signorie bekommen,jedenfalls die Stadt unter Herrschaft der Pazzi
in ihrenMachtbereich einbeziehen. Zwischen ihnen und den Verschwörern
fungierte als Verbindungsmann der von den Medici abgelehnte junge Erzbischof
Francesco Salviati von Pisa, dem man das Erzbistum Florenz versprochen.
Da Lorenzo und Giuliano Medici nach diversen Planänderungen am Sonntag,
dem 26. April 1478, während eines
Hochamtes im Dom von Florenz erdolcht werden sollten, der zunächst
gedungene päpstliche Hauptmann Giambattista da Montesecco die Sache
aber lieber nicht so feierlich, nur außerhalb der Kirche, an einem
ungeweihten Ort erledigen wollte, sprangen zwei weniger Empfindliche und
am Umgang mit Höherem, Heiligem besser Gewöhnte für ihn
ein:
Antonio Maffei von Volterra und der apostolische Sekretär
Stefano von Bagnorea. Wohl während der Wandlung, vor erhobener
Hostie, wurde Giuliano Medici am Hochaltar wundenreich abgeschlachtet,
mit vorsorglich immerhin 19 Messerstichen, während die Hauptperson
Lorenzo Medici il Magnifico, in der Arnostadt fürstengleich gestellt,
infolge eines Brustpanzers unter seiner Kleidung leicht verletzt entkam
(nicht ohne daß Girolamo später noch mehrmals versucht hätte,
ihn ermorden zu lassen). Und weil die Florentiner in der Vendetta gegen
die Putschisten standen, baumelten bald Angehörige der Familie Pazzi,
Erzbischof Salviati von Pisa u. a. an den Fenstern des Palazzo della Signoria,
bis die Menge die hinabgestürzten Leichen auf der Straße in
Stücke riß. Auch beide Meuchelmörder hauchten ihr geistliches
Leben aus. Und bis 1480 dauerten die Hinrichtungen fort.
Sixtus IV. aber schleuderte Bannflüche um sich, exkommunizierte
den verdammten Priestermörder Lorenzo Medici samt Anhang, verhängte
das Interdikt über die Stadt, beschlagnahmte alle florentinischen
Güter in Rom, stachelte die Schweizer zum Einfall in Italien auf,
so daß ihre bewaffneten Haufen in der Poebene erschienen, und führte
selbst,
unterstützt von Neapel, einen schadenreichen Krieg gegen Florenz,
das indes den Beistand von Mailand, Venedig, Ferrara, Frankreich nebst
weiteren fand. Als jedoch auch Ferrante vom Papst absprang und zudem die
Eroberung Otrantos erfolgte, zog es Sixtus vor, mit Venedig ein Bündnis,
mit Florenz Frieden zu schließen.
Dem Krieg gegen Florenz folgte der sogenannte Ferrarakrieg
(1481–1484). Der Papst kämpfte nun im Bund mit Venedig, das
erst zögerte, erst scharf gemacht werden mußte mit Ferrara
«gleichsam als Lockspeise» (Kretschmayr), indes er mit venezianischem
Beistand für Girolamo Riario das Königreich Neapel gewinnen,
aber auch Venedig austricksen, nämlich Ferrara nicht den Venezianern,
sondern gleichfalls
dem Nepoten geben wollte. Das üble Spiel des Papstes riß den
größten Teil Italiens in die Kriegsflammen hinein. Außer
Venedig stand noch eine Reihe von weniger bedeutenden Dynasten und Städten
zu Sixtus, während auf die Seite Ferraras Neapel, Florenz und Mailand
traten. Doch war auch Rom selbst, von Meuchelmördern und anderen
Gangstern
wimmelnd, wie so oft, zerstritten. Für den Papst schlugen sich die
Orsini, gegen ihn die Colonna und Savelli, obwohl auch all diese Familien
wieder gespalten waren. Die Blutrache brach unter den Christensöhnen
aus, Straßenkämpfe tobten, Köpfe fielen, auf Altären
und in Sakristeien
würfelte und tafelte das Kriegsvolk. Und der Heilige Vater kerkerte
sogar die Kardinäle Colonna, Giambattista Savelli sowie dessen Bruder
Matiano in der Engelsburg ein. Doch wurde auch Roms Umgebung in Mitleidenschaft
gezogen; verschwanden ja überhaupt im 14. und 15. Jahrhundert 25
Prozent der Dörfer im Umland der Heiligen Stadt. Inzwischen lagen
neapolitanische Kriegsschiffe, zwanzig Dreiruderer unter Ferrante, vor
Ostia und beunruhigten die Küste, operierte Herzog Alfons von Kalabrien,
Ferrantes Sohn, im Kirchenstaat und drang, selbst moslemische Reiter unter
seinen Scharen, brandschatzend beinah täglich bis vor die Tore Roms.
Dort, wo auch noch die Pest ausbrach, ließ der Papst nach Ankunft
des Roberto Malatesta, des jungen
Dynasten von Rimini, mit venezianischer Verstärkung am 15. August
1482, von einem Vatikanfenster aus sein Kanonenfutter segnend, an sich
vorüberziehen: Reiter, Armbrustschützen, aber auch Büchsenträger,
Artillerie und über 9000 Mann Fußvolk. Und wenige Tage darauf
siegte man in der Schlacht von Campo Morto (Totenfeld) südöstlich
von Rom in den malariaverseuchten Pontinischen Sümpfen unter Führung
des
Malatesta. Auf beiden Seiten fochten Orsini, Colonna, Savelli, über
tausend Menschen starben elend, und Sixtus bejubelte die Freudenbotschaft
und gab sie an die Venezianer weiter, an die befreundeten Staaten. Er
ließ alle Kirchenglocken läuten und besuchte selbst einen Dankgottesdienst
in Santa Maria del Popolo.
Nur drei Wochen nach seinem Sieg verschied Roberto Malatesta
am Sumpffieber. Mit allen Ehren verschwand er unter St. Peter –
und schon trieb der Heilige Vater Girolamo nach Rimini, um Malatestas
Witwe samt Sohn Pandolfo, einem Kind noch, ihr Erbe zu entreißen.
Allein die Florentiner verhinderten das Schurkenstück. Dem Papst
aber schien
es infolge gewisser Umstände wieder einmal opportun, die Front zu
wechseln. Er trennte sich von Venedig und verband sich mit dem eben noch
blutig bekämpften Neapel. Gegen Venedig verhängte er im Sommer
1483 das Interdikt und schleuderte den Bann, freilich ohne Wirkung. Die
Feindseligkeiten rissen nicht ab. In Rom, wo Sixtus und der Schrecken
der Stadt, Graf Riario, mit den Orsini gegen die Colonna standen, raubte
man Kirchen und Häuser aus, riß Paläste nieder, baute
Schanzen, erstürmte Barrikaden, warf Feuerbrände. Man sperrte
ein, folterte, vertrieb, erstach und köpfte, prominente Häupter
fielen. Einmal sterben in einem nur zweistündigem Kampf auf der Seite
der Colonna etwa vierzig, auf der Gegenseite dreizehn Menschen.
Der Krieg dehnte sich auf ganz Latium aus, wo der Papst
die Colonna vernichten, ausrotten wollte, um mit ihren Gütern und
Reichtümern den vergötterten Nepoten auszustatten, der seinerseits
Geld von den Kirchen Roms erpreßte, während Vater Sixtus seine
Haudegen mit Artillerie ausrüstete, Kanonen segnete und die Hände
zum Himmel streckte,
ohne sich durchsetzen zu können. Wider Willen mußte er den
für Venedig günstigen, für ihn enttäuschenden Frieden
von Bagnolo am 7. August 1484 hinnehmen und starb – wie es heißt
aus Wut darüber.
Ein besonderes Ruhmesblatt erwarb sich Sixtus IV. als einer
der wirksamsten Förderer der «neuen» Inquisition. Erlaubte
er doch ihre Einführung durch eine spezielle Bulle vom 1. November
1478 Ferdinand V. von Aragón und Isabella von Kastilien. Das Herrscherpaar
wurde bevollmächtigt, alle «Ketzer» seines Reiches (zumal
die vermeintlich judaisierenden Konvertiten, die «Neuchristen»,
die man zuerst zum
Übertritt gezwungen, dann der Unehrlichkeit verdächtigt hatte)
zu verhaften, zu richten und ihr Eigentum zugunsten des Papstes, der spanischen
Krone und natürlich des hochverdienten «heiligen Tribunals»
zu konfiszieren. Man ging jetzt mit massenhaften Exekutionen gegen die
Opfer vor, verbrannte sie entweder – mit vervollkommneter
«Todestechnik» – lebendig oder nachdem man sie zuvor
erwürgt, «garottiert» hatte; eine Methode u. a. von Straßenräubern,
die den Auszuraubenden durch eine übergeworfene Schlinge bewußtlos
machten; die Garrotteure der Inquisition brachten die gleichfalls auszuraubenden
«Ketzer» um, was jedoch als Zeichen besonderer Barmherzigkeit
galt, als Gnadenerweis der geistlichen Henker.
Nachdem die Pest viele Eingekerkerte hinweggerafft, grub
man noch deren Leichen aus, um die Überbleibsel richten und ihr Erbe
von den Verwandten kassieren zu können. Das Spitzelwesen, das Denunziantentum
grassierte und wurde von der Kirche in Predigt
und Beichte als gottwohlgefällig gefördert. Damit geht die schrecklichste
und schändlichste Ausgeburt menschlichen Geistes, päpstlich
autorisiert, königlich kontrolliert, grausamer und gründlicher
als irgendwo, ihrem Höhepunkt entgegen, ein nahezu perfektes Massenmordinstrument,
ein systematisch ausgeklügelter Terror, der, beispielhaft für
analoge Einrichtungen in der Welt, noch mehr
als drei Jahrhunderte dauert, bis 1834. Begreiflicherweise befürwortet
der päpstliche Nuntius in Spanien, Nicolas Franco, die pastorale
Sache, die vielfach nur die Wahl zwischen Taufe und Tod läßt,
wärmstens. Und seine Heiligkeit ernennt wiederholt, 1480 und 1482,
Inquisitoren
für Spanien, darunter der Dominikanermönch Tomás de Torquemada
(1420–1498), Neffe des Kardinals Juan de Torquemada (Turrecremata),
eines der führenden Gegner der Lehrevon der Unbefleckten Empfängnis
Mariens. Papst Sixtus bestätigt ihn 1483 als Großinquisitor
für Kastilien und Aragón, worauf er den Titel führt:
«Wir, Bruder Thomas Torquemada,
Mönch des Ordens der Predigerbrüder, Prior des Klosters des
Heiligen Kreuzes in Segovia, Beichtvater des Königs und der Königin,
unserer Herrscher, und Generalinquisitor in allen ihren Königreichen
und Besitzungen gegen die häretische Verderbtheit, ernannt und bevollmächtigt
durch den Heiligen Apostolischen Stuhl.»
Dieses katholische Superscheusal, das führend das große
Judenpogrom von 1492 mit vorbereitet und in dem von ihm noch gegen sein
Lebensende gegründeten Dominikanerkonvent Santo Tomás (de
Aquino) statutarisch auf «Reinheit des Blutes» (limpieza de
sangre) als Norm besteht, jagt nun vor allem die angeblich judaisierenden
«Neuchristen», Juden also, die Christen geworden waren. Die
Scheiterhaufenexzesse werden als regelrechte Volksschauspiele begangen
und noch unter Sixtus an drei Tagen in Toledo 2400 Marranen verbrannt,
wie die zum Katholizismus konvertierten Juden hießen, was «Schweine»
bedeutet. Als eigentlicher Begründer der Spanischen Inquisition,
die insgesamt über 300000 Menschen vernichtet haben soll, als Organisator
wie Ideologe ihres Terrors, hat Torquemada, der sich für «ein
Instrument der göttlichen Vorsehung» hielt und somit auch von
seinem Gewissen her alles erlauben konnte, in seinem achtzehnjährigen
Wirken als Leiter des Inquisitionstribunals 10220 Menschen lebend verbrannt,
6840 «in effigie» (d. h. in Bildgestalt), weil sie verstorben
oder geflohen waren. 97321 wurden durch ihn aus staatlichen oder sonstigen
Ämtern gestoßen und ehrlos, insgesamt somit etwa 114300 Familien
für immer ruiniert – Angaben Juan Antonio
Llorentes, des späteren Sekretärs der Spanischen Inquisition,
der sich dabei auf deren Archive stützt. «Darin sind nicht
eingeschlossen jene Personen, die wegen ihrer Verbindungen zu den Verurteilten
mehr oder weniger deren Unglück teilen mußten . . .»
Noch 1484, in seinem Todesjahr, übermittelte Papst
Sixtus IV. ein Lob des Kardinals Borgia an den spanischen Großinquisitor
und ergänzte seinerseits: «Wir haben dieses Lob mit großer
Freude vernommen und sind darüber begeistert, daß Ihr, reich
an Kenntnissen und bekleidet mit Macht, all Eure Anstrengungen auf solche
Gegenstände richtet, die den
Namen des Herrn erhöhen und dem wahren Glauben nützlich sind.
Wir rufen auf Euch Gottes Segen herab und ermuntern Euch, teurer Sohn,
mit der früheren Energie fortzufahren und unermüdlich der Sicherung
und Festigung der Grundlagen der Religion zu dienen; in dieser Angelegenheit
könnt ihr stets auf unser besonderes Wohlwollen rechnen.»
Auf sein Wohlwollen nicht mehr rechnen konnte in jenem Jahr
sein früherer enger Studienfreund, der Dominikaner Andrea Zamometi,
ein vornehmer Balkanese, von Sixtus 1476 zum Titularerzbischof von Granea
(bei Saloniki) erhoben. Als der Prälat aber, zeitweilig kaiserlicher
Gesandter in Rom, die Zustände am päpstlichen Hof scharf zu
kritisieren
begann, ließ ihn Sixtus in die Engelsburg werfen. Und als er, dank
kaiserlicher Intervention befreit, daranging, die Reform von Kirche und
Kurie zu fordern und das allgemeine Basler Konzil (mit Zitation des Papstes)
wieder zu beleben, landete Erzbischof Zamometi erneut im Kerker, diesmal
durch den Kaiser und in Basel, wo man ihn zwei Jahre später, 1484,
erdrosselt in seiner Zelle fand.
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