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Pressestimmen
Einer muss es ja machen. Einer muss die Verlogenheit der Welt anprangern,
den Frommen die Maske vom Gesicht reißen, die Geschichte der christlichen
Kirchen als Kalendarium der Untaten, als Manifestation von Geldgier, Opportunismus,
Machtwillen und Grausamkeit neu schreiben. Karlheinz Deschner, der in
den fünfziger Jahren als furioser Literaturkritiker angefangen hat,
der nichts so sehr hasste wie den Kitsch und der dann selber schonungslose
autobiographische Romane vorgelegt hat wie Die Nacht steht um mein Haus,
dieser Linke, berufsmäßige Zyniker und doch sehr sensible Mensch
hat sein Leben einem einzigen großen Projekt geweiht: der Kriminalgeschichte
des Christentums.
Gerade ist der achte Band erschienen, der sich mit dem 15. und 16. Jahrhundert
beschäftigt, mit dem großen abendländischen Schisma, den
Renaissance-Päpsten und der Reformation. Gleich drei korrupte Päpste
bzw. Gegenpäpste führten im 15.Jahrhundert Krieg gegeneinander.
Karlheinz Deschner wird nicht müde, sie als geil, verschwenderisch,
nepotistisch, verkommen und blutrünstig zu brandmarken, und der bisweilen
moralisch eifernde Tonfall steht in einem seltsamen Missverhältnis
zu der historisch aufwendigen und präzisen Arbeit, die in diesem
Werk steckt. Aber vielleicht darf sarkastisch und wertend nur sein, wer
den Steinbruch einmal so minutiös durchkämmt hat wie Deschner.
Es ist eine parteiische, eine notwendige Gegen-Geschichtsschreibung, die
er da vorlegt, das Negativ zur offizialkirchlichen Beschönigungs-Rede,
und es ist sehr zu wünschen, daß er auch die letzten Bände
noch schafft - denn da geht es dann ins 19. und 20. Jahrhundert, in die
Nazizeit und zu Deschners Lieblings- und Hauptfeind, dem Nazi-Kollaborateur
Eugenio Pacelli, besser bekannt als Pius XII. Ihn hat er schon 1962 in
Abermals krähte der Hahn als raffgierigen, gänzlich moralfreien
Stellvertreter Gottes beschrieben - und der makabre Gegensatz von Anspruch
und Wirklichkeit des Christentums ist ja das eigentliche Antriebsmoment
von Deschners Arbeit:
Es gibt keine Idee, kein Wort in der ganzen Geschichte, mit dessen Hilfe
so viel Unrecht geschehen ist, so viel Blut vergossen wurde wie das Wort
Gott. Gerade dieses Wort musste ja immer dazu herhalten, auch die fürchterlichsten
Dinge zu sanktionieren, gegenüber ganzen Völkern, gegenüber
der halben Welt. Ob Hitler nun einen Krieg geführt hat oder Herr
Bush aus den USA den zweiten Golfkrieg oder auch Saddam Hussein, alle
haben sie sich auf Gott berufen.
Deschner ist 1924 in Bamberg geboren und wurde von Franziskanern, Karmelitern
und Englischen Fräulein in Internaten erzogen. So war er früh
mit den Erziehungsmethoden des Klerus vertraut, und dieses Trauma verfolgt
ihn bis heute. Und es hat ihn immer besonders empört, dass gerade
die Franziskaner mit den Nazis zusammenarbeiteten und gemeinsam mit den
Jesuiten im 2.Weltkrieg eine schlimme Rolle spielten: auf dem Balkan,
im Kampf des katholischen Kroatien gegen das orthodoxe Serbien, war nach
Deschners Recherchen ein Franziskaner sogar Kommandant eines Konzentrationslagers.
Deschner selber war im Krieg Fallschirmjäger, dann studierte er Literatur,
Philosophie, Geschichte. Seine mainfränkische Heimat hat er dann
nie wirklich verlassen, noch heute lebt er in Hassfurt bei Würzburg.
Karlheinz Deschner wird nun 80 Jahre alt, und in einer Phase, in der andere
sich zurücklehnen und feiern lassen, arbeitet er mit Volldampf am
Abschluss seines Hauptwerks. Er ist der Außenseiter geblieben, der
nie einen Lehrstuhl hatte , nie eine Beamtenstelle, die ihm sichere Pensionen
abwirft, und außer dem Arno-Schmidt-Preis 1988 hat er wenig offizielle
Belobigung erhalten. Gleichwohl war sein Einfluss in den siebziger und
achtziger Jahren immens; während verunsicherte Links-Christen sich
an den lauwarmen Hans Küng hielten oder bei Walter Jens Unterschlupf
suchten, lasen die etwas Konsequenteren lieber den knallharten Deschner,
der Tacheles redete.
Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin heißt ein von ihm herausgegebener
Sammelband aus dem Jahr 1970. Man reibt sich die Augen, wer da alles zum
Kirchenaustritt aufrief: Klaus Harpprecht, einer der bekanntesten Journalisten
der Republik und damals Ghostwriter bei Willy Brandt; Hans Wollschläger,
der spätere Ulysses-Übersetzer, Frederic Vester, Gerhard Zwerenz,
Robert Mächler, Wolfgang Beutin. Der mittlerweile verstorbene (und
weithin unterschätzte) Autor und Fernsehregisseur Otto F. Gmelin
beschreibt in dem Band seine Masturbations-Übungen unter den Augen
des alles sehenden Gottes und seine Versuche, sich per Psychoanalyse und
Marxismus aus den Klauen der Kirche zu befreien; solche heute merkwürdig
anmutenden Selbstbekenntnisse waren damals neu und schockierten den Mittelstand.
"Écrasez l'infâme" rief Karlheinz Deschner in seiner
Einleitung zu dem Buch, und am Ende gab es eine detaillierte Gebrauchsanweisung
der Humanistischen Union "So tritt man aus der Kirche aus" mit
den geltenden Rechtsbestimmungen der einzelnen Bundesländer.
Dass Karlheinz Deschners Einfluss heute etwas gesunken ist, verdankt sich
dem Umstand, dass die sexuell libertären Intellektuellen ihr Verhältnis
zur Kirche mittlerweile anders regeln. Man tritt aus oder auch nicht,
letzteres meist aus beruflichen Gründen, denn die heilige Mater Ecclesia
ist immer noch einer der größten Arbeitgeber in Deutschland
und hat sogar bei der Postenbesetzung der meisten Gymnasien ein Wörtlein
mitzureden. Aber die Intelligenz der Republik nimmt die Kirchen-Oberen
mittlerweile nicht mehr ganz ernst: man setzt sich mit denen kaum noch
publizistisch auseinander - so wie das vor 20 Jahren der Fall war. Die
sexuelle Freizügigkeit seit der APO hat vieles von selbst geregelt;
das "Sündenbewusstsein" ist gesunken. Und auch die Kirche
ist seltsam stumm geworden. Man möchte einander nicht lästig
fallen, so lässt sich dieser seltsame Burgfrieden beschreiben. Deschner
ist auch da der Störenfried geblieben, der alte Wunden immer neu
aufreißt - mit geschichtlichem Material:
Allein dieser Tatsache verdankt die Kirche ihr Überleben, dass sie
mit den jeweils stärksten Männern, wenn es sich irgendwie strategisch
und taktisch vereinbaren ließ, sozusagen ins Bett gekrochen ist.
Das haben wir gesehen während der wilhelminischen Ära im 20.Jahrhundert;
und dann, in der Weimarer Republik begannen plötzlich die Friedenstöne,
nach der hässlichsten Kriegspropaganda. Ich zitiere den Bischof Faulhaber,
der sogar noch die Kanonen als Sprachrohre der Gnade bezeichnet hat -
es gibt tausende ähnlicher Phrasen. Während der Weimarer Zeit
hat er dann den Frieden gefeiert; in der Nazizeit wurde er einer der vehementesten
Parteigänger Hitlers, er hat zu seiner Unterstützung bis in
die letzten Kriegsjahre aufgerufen, hat antisemitische Äußerungen
von sich gegeben - und 1945 hat er die ganze Nazizeit verflucht und sein
angebliches Eintreten für die Juden herausgestellt.
In Deschners neuem Buch, dem achten Band seiner Geschichte des Christentums
unter kriminaltechnischen Aspekten, geht es um das späte Mittelalter
und die Renaissance. Zentraler Punkt ist das große abendländische
Schisma: zwei, schließlich drei Päpste konkurrierten miteinander.
Nach einer dubiosen Wahl des Konklave in Rom, unter Ausschluss von 6 in
Avignon zurückgelassenen Kardinälen, wurde im April 1378 der
Erzbischof von Bari, Bartolomeo Prignano, zum Papst ausgerufen. Sobald
er unter dem Namen Urban VI. auf dem Chefsessel saß, erwies sich
der bis dahin diensteifrige und angepasste Kirchenfunktionär als
pathologischer Despot.
Und obwohl er durchaus diskutable Reformansätze vortrug, ging er
in seiner Kritik offenbar wenig diplomatisch vor: ihr von Sex und Schmarotzertum
geprägtes Lotterleben wollte sich die klerikale Führungsschicht
nicht so ohne weiteres verbieten lassen - und installierte ein halbes
Jahr später in Fondi bei Neapel den erst 36jährigen Kardinal
Robert von Genf, einen berüchtigten "Blutmann" und Karrieristen,
als "wahren" Papst.
Beide Päpste hatten Nachfolger, beide waren politisch mit unterschiedlichen
Gruppierungen und Nationen liiert, die ihr Einflussgebiet durch Krieg
zu erweitern suchten, und auch die Nachfolger statteten ihre Verwandtschaft
fürstlich mit Privilegien und Posten aus. Das Konzil von Pisa schloss
beide Oberhäupter der Christenheit, die mittlerweile Gregor XII.
und Benedikt XIII. hießen, 1409 als Schismatiker und Häretiker
aus der Kirche aus, freilich ohne größere Folgen, und bestimmte
den aus Griechenland stammenden Mailänder Kardinal Petros Philargos
zum neuen bzw. dritten Papst, Alexander V. Aber schon ein Jahr später
verschied der Gewählte, angeblich Opfer einer Giftattacke seines
direkten Nachfolgers, Kardinal Baldassare Cossa, der nunmehr als Johann
XXIII. einer von drei Stellvertretern Gottes auf Erden wurde.
Schon diese kurze Aufzählung zeigt, wie verwirrend dieser Sumpf aus
Mord, Totschlag und Günstlingswirtschaft ist und wie mühsam
sich da einer durch die Fakten kämpfen muss, um schließlich
die großen Fäden der Geschichte wieder zusammenzuknüpfen.
Leider gelingt das Deschner nicht immer - seine Darstellung wirkt ungemein
belesen, aber oft auch detailüberladen. Erst mit dem Konstanzer Konzil
von 1414, das den als bisexuellen Maniac berüchtigten Johann wegen
"unwürdigen Lebens, Simonie und schlechter Kirchenleitung"
absetzte, Gregor seinen Rücktritt erklären und Benedikt in der
Bedeutungslosigkeit verschwinden ließ, gewinnt Deschners Darstellung
wieder die gewohnte Kraft: lustvoll malt er aus, wie die 700 klerikalen
Konzilsteilnehmer mit ihren 18000 Bediensteten rund 700 öffentlich
registrierte Huren aus der Region in Anspruch nahmen - abgesehen von denen,
die sie selbst mitgebracht hatten. Engagiert beschreibt er den Konzils-Prozess
gegen den böhmischen Reformator Jan Hus, der den Ablasshandel angeprangert
hatte und den man mit dem Versprechen eines "freien Geleits"
nach Konstanz lockte, wo man ihn schließlich verbrannte.
Da ist Deschner in seinem Element, als Anwalt der Schwachen und als Genre-Maler
des Verbrechens. Die Darstellung der diversen monströsen Renaissance-Päpste
dagegen, die Mitte bis Ende des 15.Jahrhunderts sich als Pornographen,
Vergewaltiger und Mörder betätigten, wirkt seltsam buchhalterisch.
Danach werden kirchlicher Judenhass, Hexenwahn, Reformation und Bauernkrieg
durchgenommen, und hier wird es dann in der Argumentation wieder etwas
übersichtlicher.
Es scheint, dass der virtuose Polemiker Deschner dem Geschichtsschreiber
Deschner um einiges überlegen ist. Gleichwohl ist seine Anti-Kirchengeschichte
seriös gearbeitet, und an ihrer Notwendigkeit kann angesichts des
noch immer bestehenden politischen und psychischen Einflusses der Kirchen
kein Zweifel bestehen, die viele Gläubige ja noch immer seelisch
zugrunde richtet. Gerade für diese Menschen schreibt Karlheinz Deschner
- und das ist ihm sehr bewusst.
Die Kirche, das ist ja eine Gemeinschaft, die einem bestimmte Begriffe
vorsetzte, hinter denen sich letztlich nichts verbirgt - also die einen
erst krank macht, indem sie den Menschen das Sündenbewusstsein einimpft,
und zwar von klein auf, von der Mutterbrust an, um ihn dann heilen zu
können. Und die ihn in Nöte bringt, die man ohne die Kirche
überhaupt nicht hätte. Das ist ja der große Trick der
Kirchen. Wenn man dieses Sündenbewusstsein, mit dem der Mensch aufwächst,
wenn man das endlich preisgeben kann, dann tritt eben dieses Gefühl
einer geistigen, einer moralischen Befreiung ein. Und es gehört zu
meinen erschütternsten Erlebnissen, immer wieder zu beobachten, dass
nicht etwa primitive Menschen, sondern Menschen, die relativ wach sind,
oft die ganze zweite Hälfte ihres Lebens brauchen, um den Blödsinn
zu vergessen, den sie in der ersten Hälfte gelernt haben.
Deutschlandfunk, 19.5.04
Bitte vergleichen Sie hierzu auch die Pressestimmen zur
«Kriminalgeschichte des Christentums» insgesamt.
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