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Interview in «La Stampa» , 1990

Für die Turiner Zeitung «La Stampa» führte Claudio Pozzoli im Sommer 1990 das im folgenden auszugsweise zitierte Interview mit Karlheinz Deschner:

La Stampa: Warum sind Sie Kirchenkritiker geworden? Hat es auch etwas mit religiösen Kindheits- oder Jugenderfahrungen zu tun?

Deschner: Ja. Mein Vater war katholisch, die Mutter protestantisch. Sie konvertierte. Unter den Verwandten gab es christliche Sektierer, gab es Freimaurer, Nazis, Sozis, Juden. Auch wuchs ich in Internaten bei Franziskanern auf, Karmelitern, Englischen Fräulein, Benediktinern.

La Stampa: Schlechte Erfahrungen?

Deschner: Nicht nur. Doch auch lauter schlechte Erfahrungen hätten mich nie zum Gegner des Christentums gemacht.

La Stampa: Also objektive Gründe?

Deschner: Ja. Die erschreckende Erkenntnis: nichts im Christentum stimmt. Weder ethisch noch dogmatisch. Und dies von Anfang an!

La Stampa: Gilt das nicht auch von anderen Religionen?

Deschner: Nicht überall. Und nicht so absolut. Der Buddhismus etwa war sehr viel toleranter. Er forderte von seinen Laien nicht einmal den Austritt aus anderen Religionen. Er nahm auch keine gewaltsamen Bekehrungen vor.

La Stampa: Retten Sie überhaupt keine Religion oder religiösen Gefühle ?

Deschner: Ach, wissen Sie, mit einem etwas altmodischen Klassikerzitat könnte auch ich sagen: Welche Religion von allen, fragst du, ich bekenne? Keine. Und warum nicht? Aus Religion. In gewisser Hinsicht könnte auch ich mich religiös nennen.

La Stampa: In welcher?

Deschner: Im Sinn des Monismus. Des Panpsychismus. Ich glaube, daß alles, was ist, lebendig ist, beseelt. Ich glaube, daß das bißchen Verstand uns nicht so über das Tier erhebt, wie das Christentum behauptet, wie man gerade auch im Land des Papstes glaubt, wo man immer noch denkt, wenn man ein Tier tötet: «senza anima» und «non e cristiano . . .» Dieses Denken hatte und hat entsetzliche Folgen, weit schlimmer als alle Kriege. Und, wie Tolstoi sagt, solange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.

La Stampa: Was halten Sie von kritischen Christen und von wirklich guten Christen? Oder gibt es die gar nicht?

Deschner: Ein kritischer Christ ist eine contradictio in adjecto. Wenn ein Christ wirklich kritisch ist, ist er kein Christ mehr. Er müßte ja alles, alles über Bord werfen, was er glaubt, was ihm vorgeschrieben wird zu glauben: die Wunder, die Weissagung, das Glaubensbekenntnis, die Gründung der Kirche, die Transsubstantiation, alle Sakramente, die Trinität, die Gottheit Jesu, die Unbefleckte Empfängnis Mariens - das entsprechende schöne Fest verdanken wir übrigens einem Papst, Sixtus IV, der Rom auch mit Bordellen beglückte, eine Sondersteuer von seinen Nutten erhob, mit seiner Schwester, seinen eigenen Kindern koitierte. Und was die guten Christen betrifft, so sind sie, ich sage es immer wieder, am gefährlichsten - man verwechselt sie mit dem Christentum.

La Stampa: Im Herbst erscheint der dritte Band Ihrer «Kriminalgeschichte des Christentums» . Warum heißt sie «Kriminalgeschichte» ?

Deschner: Sie heißt so, weil die Geschichte des Christentums spätestens von 313 bis heute kriminell gewesen ist, hochkriminell, siebzehn Jahrhunderte lang.

La Stampa: Warum so viel Mühe für das Problem Christentum? Man sagt, das Thema sei heute nicht mehr aktuell.

Deschner: Ja, und ich habe manchmal den Verdacht, der Klerus selbst lanciert das Gerücht, um desto besser im Trüben zu fischen. Geistig, gewiß, ist das Christentum tot, seit zwei Jahrhunderten, seit der historischen Aufklärung, mausetot, und niemand weckt es mehr auf. Aber politisch, wirtschaftlich, groteskerweise auch moralisch, ist sein Einfluß groß, ja, er wächst noch.

La Stampa: Aber was erreichen Sie? Seit Jahrzehnten schreiben Sie gegen das Christentum doch wer liest das?

Deschner: Jeder mag lesen, was er will. Aber ich schreibe auch, was ich will. Und ich schreibe zuerst für mich - um etwas festzuhalten, etwas loszuwerden, weil ich Klarheit suche, eine Wahrscheinlichkeit . . . Geschichte schreiben, so ähnlich sagt Goethe, sei eine Art, sich das Vergangene vom Hals zu schaffen. Ich schreibe sie, um etwas weniger Finsternis um mich zu haben, etwas mehr Licht, einen Anflug von Wahrheit.

La Stampa: Aber warum Ihre Faktenbesessenheit?

Deschner: Wäre Theoriebesessenheit denn besser? Faktenbesessen - man könnte es ohne den pejorativen Akzent, könnte es positiv sagen. Die Geschichte besteht nun einmal aus Fakten, und die Geschichtsschreibung leider sehr häufig aus geschönten, übertünchten, unterdrückten, verzerrten, verlogenen Fakten, nicht aus Fakten also, sondern aus Fiktionen oft, Fälschungen. Faktenbesessen, heißt das nicht, daß meine Arbeit dicht und gut belegt ist? Schöne Theorien kann jeder spinnen.

La Stampa: Geht es heute nicht eher darum, Herrschaftskritiker, Kritiker des Machtmißbrauchs als Religionskritiker zu sein?

Deschner: Aber ich bin Kritiker des Machtmißbrauchs! Die Kirchengeschichte war immer Machtmißbrauch, immer. Und meine «Kriminalgeschichte» widmet den weltlichen Dynastien mindestens soviel Raum wie der klerikalen Hierarchie, wenn nicht mehr.

La Stampa: Und wann hören Sie auf, gegen das Christentum zu schreiben ?

Deschner: Wenn ich tot bin. Aber glücklich macht es mich nicht, und ich frage mich immer öfter, ob ich meine Kraft nicht besser einer noch hoffnungsloseren Thematik geopfert hätte.

La Stampa: Welcher?

Deschner: Der geschundensten Kreatur - dem Tier.

 

Karlheinz Deschner

Interview

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