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Wolfram von Eschenbach-Preis 2004
Karl Corino
Laudatio auf Karlheinz Deschner anläßlich
der Verleihung des Wolfram-von-Eschenbach Preises des Bezirks Mittelfranken
“... man müßte schreiben, ohne eine Sekunde nachzudenken,
man müßte drauflosschreiben wie eine Maschine, so schnell und
ohne alle Hemmungen, man mußte alles herausschleudern wie ein Vulkan
oder wie man sich erbricht oder was weiß ich, sobald man denkt,
ist es schon vorbei, das ist meine Erfahrung”. So steht es in Karlheinz
Deschners erstem Roman “Die Nacht steht um mein Haus”, mit
dem er 1956, mit 32 Jahren, die literarische Szene betrat.
Es war ein Debüt, das im wahren Wortsinn Furore machte und die Öffentlichkeit,
wie später so oft, in zwei Lager spaltete. “Deschners Prosa
vom Leben und Leiden des einzelnen an der allgemeinen Unmenschlichkeit
der Epoche hat an ihren besten Stellen die Durchschlagskraft eines Geschosses.
Als Erstlingsbuch: eine großartige Begabungsleistung! “ schrieb
Karl Krolow damals, und Leslie Meier alias Peter Rühmkorf: “Ein
Buch mit wunderbaren Naturschilderungen und wunderbaren Herausforderungen,
lyrisch und provokant, anstößig und stimmungsgeladen, vor allem
aber: von der Form her interessant” - ein Lob, das dem von Wolfgang
Koeppen, Hermann Kesten, Hanns Henny Jahnn, Hans Erich Nossack, Ernst
Kreuder oder Albert Vigoleis Thelen glich, während andere von einem
“einzigen Zeugnis von Kraftlosigkeit” sprachen oder von einer
“Roßkur”.
Wenn man heute, aus einer Entfernung von fast 50 Jahren auf dieses Buch
zurückblickt, so muß man sagen, es gehört zu den wichtigen
Leistungen jener Generation, die im III. Reich aufwuchs und dann in den
II. Weltkrieg geworfen wurde. Der Generation der Überlebenden und
der Heimkehrer, wie sie auch Arno Schmidt in seinen frühen Büchern
porträtierte, nicht zuletzt in “Brand’s Haide”.
“Die Nacht steht um mein Haus” - das ist die Geschichte des
Paul Reiher, der als Hitlers Soldat in Frankreich und Italien war und
im Frühjahr 1945 verwundet und im letzten Augenblick aus der sog.
Festung Breslau ausgeflogen wurde. Die Geschichte des Paul Reiher, der
sich in den späten vierziger Jahren im Frieden zurechtzufinden sucht,
sich durch die fränkischen Wälder und Liebesaffären wildert,
studiert und in den frühen Fünzigern als Vortragsreisender durch
die Bundesrepublik des Wirtschaftswunders und der Wiederbewaffnung tourt
und seine ersten Erfahrungen als Schriftsteller macht, Erfahrungen mit
der Unsagbarkeit des zu Erzählenden, mit den Qualen des stilistischen
Möglichkeitssinns, mit der süßen Bitternis der Liebe,
mit der Last der Erinnerung an Kriegsverbrechen, der Erschießung
schuldloser Zivilisten in Italien z. B., - Verbrechen, die wohl bis zum
heutigen Tag nicht gesühnt sind und deren Opfer nur in Deschners
Prosa schemenhaft überlebt haben.
Es ist wohl die Prosa, in der die Parataxe ihren höchsten Triumph
in der deutschen Literatur feiert: immer neue anaphorische Anläufe,
mit dem Versuch, das Gesagte in kurzen Wendungen zu erweitern und zu präzisieren,
Annäherung an jenes quasi-automatische Schreiben, von dem in den
Eingangssätzen die Rede war, bei dem die filternde und lähmende
Reflexion ausgeschaltet werden soll angesichts des stummen und brüllenden
Elends ringsum.
Die bewegende, aufwühlende Wirkung der Lektüre konnte ich damals
an mir selber und meiner näheren Umgebung beobachten. “Was
haben Sie nur mit mir gemacht!”, sagte eine Tübinger Studentin
1965 zu mir, der ich Deschners Roman damals geliehen hatte (und die später
meine Frau wurde). Ich bin mir gewiß, daß es so in den 50ern,
60ern vielen anderen Lesern und Leserinnen ging. Und in keinem anderen
Roman des 20. Jahrhunderts, um dies hinzufügen, wird Franken, Deschners
Heimat, so hinreißend Wort wie in seinem Erstling. Manche Leser
- wie der frühverstorbene Schriftsteller Harald Kaas - konnten ganze
Passagen dieser magischen Naturschilderungen auswendig und rezitierten
sie immer wieder.
Kein Zweifel, das knappe Dutzend von Essays Deschners über “Franken,
die Landschaft [s]eines Lebens”, die unter dem Titel “Dornrösenträume
und Stallgeruch” in mehreren Auflagen erschienen, sind Filiationen
jener frühen Prosa, und es ist nicht verwunderlich, daß das
Verhältnis zur Natur und die Fähigkeit, sie Wortmagie werden
zu lassen, für Deschner immer ein eminent wichtiges Kriterium war
für poetisches Genie.
Es ist kein Zweifel, daß meine Generation, die im II. Weltkrieg,
oder kurz davor, bald danach zur Welt kam, von Deschner geprägt wurde.
Das gilt nicht zuletzt für die literarische Urteilsfähigkeit.
1957 erschien Deschners literarische Streitschrift “Kitsch, Konvention
und Kunst”, ein Büchlein von ca. 170 Seiten, das bei vielen
Schülern und Studenten Epoche machte.
Es stürzte die Götter vieler unserer Deutschlehrer - Bergengrün,
Carossa, Hesse - und holte die Autoren Broch, Jahnn, Musil, Trakl heim
aus dem Exil und entriß sie der Vergessenheit. Deschner ließ
sich nie von Autoritäten und Zelebritäten täuschen. Mochte
Hermann Hesse auch seinen Nobelpreis haben - Deschner zeigte, wie epigonal
dessen Prosa und seine Lyrik seien - und umgekehrt, wie originell und
modern die “Schlafwandler”, der “Fluß ohne Ufer”,
die Entwürfe zum “Mann ohne Eigenschaften”. Ich persönlich
muß gestehen, daß ich in Deschners Streitschrift die ersten
Zeilen von Musil las, aus “Grigia” z. B., und daß diese
Begegnung mein weiteres Leben bestimmte. Ich habe mich vierzig Jahre lang
mit Musil beschäftigt, und daß es nun eine 2000 Seiten umfassende
Biographie dieses Autors gibt, geht auf meine Initiation durch Deschner
zurück.
Deschner ist als Literaturkritiker eine Potenz, und er hätte das
Zeug gehabt, der führende Mann Deutschlands auf diesem Gebiet zu
werden, wenn sich seine Interessen später - und mit weitreichenden
Folgen - nicht verlagert hätten. Man muß nur wieder einmal
in seinem Band “Talente, Dichter Dilettanten” aus dem Jahre
1964 blättern, um mit Genuß zu sehen, wie er die Schein-Blüten
der Gruppe 47 entblätterte. Am deutlichsten blieb mir in Erinnerung
seine Attacke auf Uwe Johnson, den er mit Recht den “berühmtesten
Stilblütensammler der deutschen Literatur” nennt. Johnson,
heute nicht zuletzt durch sein einsames Ende auf einer Kanal-Insel, das
ja kein literarisches Verdienst ist, ins Unantastbare entrückt, muß,
wie Deschner, unnachahmlich zeigt, als der unerreichbare Meister der falschen
Präposition und einer abenteuerlich geschraubten, verschmockten Diktion
gelten.
Und nicht minder brillant ist Deschners Analyse von Walter Jens’
Buch “Deutsche Literatur der Gegenwart” aus dem Jahr 1968.
Nie zuvor ist die Gedankenflucht, die Widersprüchlichkeit, der schlampige
Feuilletonismus des Tübinger Rhetorik-Professor so genau präpariert
worden wie von Deschner, der sich mit dieser Arbeit offenbar von einer
schweren Krankheit erholte. Im Nachhinein schämt man sich, daß
man dem Jens’schen Schwindel nicht selber so auf die Spur gekommen
ist. Man kann nur bedauern, daß Deschner sich nicht weitere Geistesheroen
aus Jensens Umkreis zur Brust genommen hat.
Es lag, wie schon angedeutet, daran, daß sich Deschners Interessen
verlagerten. Von der Literatur weg zur Religionsphilosophie und zur Kirchengeschichte.
Zwar schrieb er nach seinem Roman-Erstling noch ein zweites erzählendes
Buch, “Florenz ohne Sonne”, das ich ebenfalls gerne lese,
und ein drittes, das er aber nicht mehr veröffentlichte, die Jahre
zwischen 1958 bis 1962 widmete er indes einem 700-Seiten-Wälzer unter
dem Titel “Abermals krähte der Hahn”, einer Historie
des Christentums von den Anfängen bis zu Pius XII.
Es gab manche Vorausdeutungen in Deschners erstem Roman, die den Schwenk
seines Denkens ahnen ließen: “Natürlich gibt es den Glauben,
ruft nur, ruft nur, daß es den Glauben gibt, aber der Glaube ist
auch nur eine Vermutung, eine Vermutung, die man sich suggerieren kann,
aus Schwäche, aus Verzweiflung, aus Dummheit, aus ‘Demut’,
aus ‘Ehrfurcht’, aus ‘Kraft’, aber auch der Glaube
ist nur eine Vermutung unter den anderen Vermutungen, und selbst wenn
ihr von eurem Glauben überzeugt seid, blindlings davon überzeugt
seid, er bleibt eine Vermutung, und niemand weiß, ob dieser Vermutung
etwas entspricht”, so lesen wir. Es scheint, als habe Deschner gegen
Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre diesen Vermutungen auf den Grund
gehen wollen. Er mutete sich eine unglaublich anmutende wissenschaftliche
Lektüre zu, die, wenn ich richtig gezählt habe, seinerzeit schon
ca. 1000 Titel umfasste. Er dürfte alles verarbeitet haben, was die
Entstehung und die Geschichte des Christentums angeht. Die Bilanz war,
was die Nachfolge Christi angeht, niederschmetternd, und ich kenne Kommilitonen,
die nach der Lektüre von Deschners frühem opus magnum das Studium
der Theologie aufgaben.
Mit leidenschaftlicher Exaktheit demonstrierte Deschner, wie die Lehren
der Bergpredigt, ihr zum Teil revolutionärer, mit dem Alten Testament
brechender Ansatz mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion
durch Kaiser Konstantin in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Wie die Gebote
der Nächsten- und der Feindesliebe, die den Christen ein paar Jahrhunderte
lang den Militärdienst verboten, umgebogen und staatsdienlich, kriegstauglich
gemacht wurden. Aus Wehrdienstverweigerern und Märtyrern unter den
früheren römischen Kaisern wurden nun Waffenträger und
Feldprediger, die die Schwerter und Lanzen segneten. Er zeigte, wie die
urchristliche Gütergemeinschaft einem urwüchsig-dauerhaften
Besitzdenken wich, wie sich die kirchliche Hierarchie unter dem römischen
Episkopat verfestigte, wie konkurrierende christliche Glaubensrichtungen
bekämpft, verleumdet, notfalls auf Konzilien mit Stöcken niedergeschlagen
wurden und wie das Papsttum mit allen Mitteln machiavellistischer Politik,
lang vor Machiavelli, zu Großgrundbesitz, Größtgrundbesitz
und zur weltlichen Großmacht aufstieg, gegebenenfalls anhand massiver
Fälschungen: man denke nur an die sog. Konstantinische Schenkung,
der wir den Kirchenstaat verdanken.
Immer wieder stieß Deschner auf die peinigenden Widersprüche
zwischen den Geboten Christi, soweit wir sie rekonstruieren können,
und der Praxis der Kirche und ihrer Diener, und die Zahl der himmelschreienden
Untaten, auf die man beim Gang durch die Jahrhunderte stößt,
ist wahrhaft Legion. Man denke nur an die Kreuzzüge, an die Vernichtung
der Katharer, Albigenser und Waldenser (von denen ich vermutlich abstamme),
an die Bauernkriege, an die Hexenverfolgungen, von denen man auch in der
Markgrafschaft Ansbach und in den fränkischen Bistümern von
Bamberg über Würzburg bis Eichstätt ein langes, blutiges
und im wahren Wortsinne feuriges Lied singen müsste, und man stellt
mit Deschner fest, daß sich Katholizismus und Protestantismus bei
aller Feindschaft, der wir ja den 30-jährigen Krieg verdanken, mitunter
in ihrer Menschenfeindlichkeit und Grausamkeit, auch in ihrem Antisemitismus
verdammt wenig unterschieden.
Es gab die fatalsten Brückenschläge - was etwa Luther hetzend
über die Juden schrieb, das konnte 400 Jahre gut der “Stürmer”
brauchen -, und es gab die verrücktesten Allianzen und Spaltungen.
Man braucht nur an die anfeuernde Rolle der Kirchen in den zwei Weltkriegen
des 20. Jahrhunderts zu denken, als Christen gegen Christen kämpften
und die Kirchen allen Kriegsparteien versicherten “Gott mit uns”,
“Gott mit euch” anstatt jeden zu exkommunizieren, der die
diplomatischen Feindseligkeiten eröffnete und die Waffe hob. Wenn
heute einzelne Kirchenvertreter behaupten, die Auszeichnung Deschners
sei ein Schlag gegen die Kirche, so muß man leider entgegen, die
schrecklichsten Schläge hat die Kirche in den vergangenen 2 000 Jahren,
nehmt nur alles in allem, immer gegen sich selbst geführt, gegen
ihre eigenen Gläubigen, gegen die Anhänger konkurrierender christlicher
Glaubensrichtungen oder die anderen monotheistischen Religionen aus dem
Morgenland.
Hatte man vielleicht geglaubt, das Thema Kirche sei mit “Abermals
krähte der Hahn” erschöpft gewesen, der irrte sich. Es
ließ Deschner bis zu seinem 80. Geburtstag und darüber hinaus
nicht los. In wöchentlich 100-stündiger Arbeit legte er seit
1986 acht Bände seiner “Kriminalgeschichte des Christentums”
vor, rund 4600 Seiten, denen noch zwei weitere Bände folgen sollen.
Etwas Vergleichbares in dieser Materialfülle und Exaktheit gibt es
leider für keine andere Religion der Welt. Ironisch könnte man
sagen: Gott gebe Karlheinz Deschner ein so langes Leben, daß er
sich nach dem 85. oder 90. Lebensjahr beispielsweise in ähnlicher
Ausführlichkeit mit der Kriminalgeschichte des Islam beschäftigen
könne. Dies apart gesprochen.
Immer eingeräumt, daß es auch vorbildliche, ebenso demütige
wie mutige Christen gab, die ihr Leben für ihre Prinzipien opferten
- man denke nur an den christlichen Widerstand im III. Reich, an die Bekennende
evangelische Kirche und die katholischen Pfarrer in den KZ’s - ,
dies immer eingeräumt, wird es wohl keine nennenswerte Schandtat
in Namen des Christentums geben, die Deschner entgangen wäre, handle
es sich, weil wir in Wolframseschenbach sind, nun um das Wüten des
Deutschen Ordens in Polen und im Balticum, oder um die unbarmherzige Niedermetzelung
der Indios in Lateinamerika durch die spanischen Conquistadoren, von der
wir beispielsweise durch Las Casas wissen.
Es gibt wohl keinen Zweifel: hätte ein Zufall oder eine “Fügung”
einen Mann vom Schlage Deschners in ein früheres Jahrhundert hineingeboren,
er wäre mit höchster Wahrscheinlichkeit wie Giordano Bruno auf
dem Scheiterhaufen gelandet und man hätte ihn, mit besonderer Grausamkeit,
vielleicht auf kleinem Feuer geröstet.
Es ist gewiß nicht übertrieben, wenn der Münchner Philosophie-Professor
Wolfgang Stegmüller Karlheinz Deschner den “bedeutendsten Kirchenkritiker”
des 20. Jahrhunderts genannt hat, und es ist nicht nur die “herrliche
Mischung von leidenschaftlichem Engagement, klarster Logik, beißendem
Sarkasmus und überwältigendem Wissen”, die ihn zum “modernen
Voltaire” stempelt, es ist auch die Einheit von Denken und Tun.
Aufgewachsen wie alle Franken - Bratwurstland - in bedenkenlosem Fleischkonsum,
vom Vater her gewöhnt an Jagen, Fischen und Töten hatte er sein
Saulus-Paulus-Erlebnis. Schon in seinem Erstling lesen wir: “...
ich glaube, daß wir kein Recht haben, die Tiere zu töten, es
sei denn das Recht der Gewalt. Nein, ich mache keinen wesentlichen Unterschied
zwischen Mensch und Tier... wie das die Christen tun, die demütigen
Christen, die so demütig sind, daß sie sich für das Ebenbild
Gottes halten, für das Ebenbild eines allgütigen, allweisen
und allmächtigen Gottes, für das Ebenbild des Schöpfers
Himmels und der Erde. Du lieber Himmel. Was für ein Gott das sein
muß, wenn man ihn beurteilt nach seinen Ebenbildern! Nein, ich habe
die Jagd aufgegeben, und da ich dachte, daß jeder Fleischesser schlimmer
als ein Jäger ist, und schlimmer als ein Metzger ist, da ich dachte,
und ich denke es heute noch, daß es nur Gedankenlosigkeit ist und
Inkonsequenz und eine gemütsmuffige Verlogenheit, wenn sie sagen:
nein, ich könnte kein Tier töten, ich könnte keinem Tier
was zuleide tun, wobei sie sich schütteln und entsetzte Augen machen
und sich den Bauch vollschlagen mit Fleisch ..., habe ich auch das Fleischessen
aufgegeben”.
Deschner fühlt sich in dieser, sagen wir, vegetarischen Enthaltsamkeit,
die Religionen und Weltanschauungen miteinander vergleichend, den Pythagoräern
und den Buddhisten wesentlich näher als dem Alten Testament mit seinem
Gebot “Machet euch die Erde untertan”, das ein Todesurteil
für Milliarden von Tieren impliziert.
So energisch Deschner mit sprachlicher und gedanklicher Schlamperei, mit
Heuchelei, Intoleranz und Grausamkeit verfährt, so entschieden vertritt
er sein Plädoyer der Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft. Seit dem
Tod seines Sohnes Thomas am 20. Oktober 1984, der schwersten Erschütterung
seines Lebens, verbittet er sich Beifall nach seinen Vorträgen -
und es ist gut möglich, daß er es auch heute tut. Statt dessen
macht er dem Publikum den Vorschlag: “Wenn Sie statt des Applauses
für mich, des Beifalls für mich, irgend jemand, materiell oder
nicht zuletzt psychisch, nicht mir etwa, etwas Beistand geben, ist das
viel sinnvoller” pflegt Deschner zu sagen. “Denn jeder Mensch
braucht Hilf von allen”, wie Brecht es formulierte.
Es ist ein Paradox, daß Deschner, auch in viele Sprachen übersetzt,
eine nach Millionen zählende Leserschaft hat, daß er aber auf
weite Strecken nicht überlebt hätte, nicht hätte weiterarbeiten
können ohne die Unterstützung einiger Mäzene. Insofern
ist der Wolfram-von-Eschenbach-Preis, der diesem Autor heute verliehen
wird, nicht nur eine Anerkennung für das Geleistete, sondern hoffentlich
auch eine Hilfe zur Vollendung seines Lebenswerkes. Man muß dem
Bezirk Mittelfranken danken dafür, daß er in einer Zeit knapper
öffentlicher Kassen diesen Preis dotiert, und man möchte die
Bereitschaft einer christlich-sozialen Regierung, die einen Deschner auszeichnen
läßt, vielleicht mehr als erfreulichen politischen Lernprozess
im Sinne der liberalitas Bavariae denn als Gleichgültigkeit oder
repressive Toleranz verstehen. In diesem Sinne darf ich Ihnen, lieber
Karlheinz Deschner, im Namen der ganzen Jury und Ihrer Leser, herzlich
gratulieren.
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