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Leseprobe

Karlheinz Deschner: Aus meinem Leben

Ich schäme mich manchmal, daß ich Gott lästere, ich schäme mich sehr, aber es gibt ja keinen Gott, für mich gibt es keinen Gott, ich glaube nicht, daß es einen Gott gibt, also kann ich ihn auch nicht lästern, aber ich schäme mich doch, ich schäme mich deshalb, weil ich selbst oft zu Gott gebetet habe, ja, ich schäme mich, weil ich selbst heute noch manchmal zu Gott bete, ach, es ist lächerlich, es ist idiotisch, ich, ein ausgesprochener, ein erklärter Agnostiker, ich bete heute noch manchmal, ich schäme mich sehr es zu sagen, es ist so verrückt, so absolut absurd, aber es ist vieles absurd, was wir tun, was ich tue, vielleicht sind die anderen Menschen vernünftiger, konsequenter, logischer, ich weiß es nicht, es ist vieles verrückt, was ich tue, oder ist es nicht verrückt, wenn ich jeden Abend, seit fast zwei Jahren, jeden Abend, den ich zu Hause verbringe, zum Grab meines Hundes gehe, dort meinen Kopf, meine Stirn auf die Erde lege und mit ihm spreche, ich, ein Mann, der nicht an ein Fortleben glaubt, der nicht im Traum daran glaubt, der einmal geschrieben hat: der Glaube an die Unsterblichkeit ist eine Arroganz des Geistes, ich spreche mit meinem Hund, mit meinem Hund, der seit zwei Jahren tot ist, ich sage ihm nur, daß ich da bin, daß ich da gewesen bin, daß er weiß, daß ich ihn nicht vergessen habe, aber ich sage es ihm nicht etwa nur in Gedanken, nein, ich spreche es aus, ich spreche es in die Erde, in die Nässe, in den Frost, im Sommer ins Gras, ins hohe, das schon aus ihm wächst. Jetzt ist es immer eisig kalt, der Schnee brennt vor Kälte in meine Stirn, aber immer denke ich ein paar Sekunden ganz intensiv an den Hund, habe ich irgendein Bild aus seinem Leben vor mir, und dann spreche ich laut seinen Namen, und dabei fürchte ich, daß es jemand hören könnte, daß mich jemand für einen Idioten halten könnte, und dabei bin ich doch ein Idiot, wenn ich so handle, oder etwa nicht, und doch tue ich es, und ich werde es immer tun, ich werde immer verrückt sein, und ich schäme mich manchmal, wenn ich Gott lästere, ich schäme mich auch deshalb, weil ich einmal sehr zu ihm gebetet habe, an einem Tag, den ich nie vergessen werde, einem Tag Ende Februar 1945.

Wir waren nach Breslau geflogen, als Breslau schon eingeschlossen war, in die Festung Breslau, in der Nacht, irgendwo von Pommern aus, und zwei Tage später machten wir einen Angriff auf die russische Linie. Am Abend zuvor hatten wir uns mit Pistolen, Handgranaten, Munition vollgestopft, siebzehn-, achtzehnjährige Bürschchen zumeist, die toll begeistert waren, die in den Gewölben des Breslauer Arbeitsamtes herumliefen, als sollten sie Indianer spielen, ach und ich höre sie noch singen, als wir in der Nacht auf Lkws davonfuhren, wann kommst du wieder, mein kleiner Flieger . . . und ein paar alte Leute streckten ihre Köpfe aus den Fensterhöhlen und sahen uns nach. In den letzten Nachtstunden lagen wir am Stadtrand im Keller eines zerschossenen Hauses, unser ganzer Zug, und im Morgengrauen verließen wir das Haus, leis, einer hinter dem andern, und glitten ins Dunkle. Dann bildeten wir Schützenkette, flüsterten es von Mann zu Mann, und plötzlich wurde es hell über uns, gleißend hell, weißblaue gleißende Striche zischelten dicht über unsre Köpfe, wir hörten es schießen, rumpsen, wir warfen uns auf den Bauch, und keiner machte einen Schritt, und dann erfuhren wir, daß es die eigene Flak war, die da aus der Stadt schoß, die den Bahndamm vor uns sturmreif schoß, und daß wir ihn zu nehmen hätten, sobald die Flak aufhören würde zu schießen. Die Flak schoß nur fünf Minuten, dann schrie einer aufaufmarschmarsch, und wir standen auf, langsam standen wir auf, wir sahen uns um, und ich hörte eine Stimme schreien, ihr feigen Muttersöhnchen, ihr feigen Schweine, wollt ihr vielleicht raufgehn, wollt ihr in den Graben gehn, die sind ja schon davongelaufen, ihr braucht euch bloß reinzusetzen, und wenn ihr euch nicht reinsetzt, knallen sie euch da unten ab, oh ihr gottverfluchten Muttersöhnchen, ihr feigen Säue, und dann liefen wir, und dann wurde es schwarz vor meinen Augen, doch es kann nicht lange gewesen sein. Als ich wieder aufwachte, liefen viele Stiefel über mich, und ich stand auf, lief den Bahndamm hinauf, warf mich in ein Loch, fühlte den Sand, dachte, Sand, o Sand, und dann hörte ich fremde Stimmen, fremde Sprache, heiseres, leises, gehetztes Gegurgel der Russen hinter dem Damm, und dann stemmte einer, irgendeiner, dessen Namen ich vergessen habe, aber ich weiß noch, daß er blond, sehr jung und Offiziersanwärter war, das Maschinengewehr sich an den Leib und schoß und schoß und schoß, er schoß wie ein Irrsinniger, und ich fluchte und schrie, hör auf, du Narr, schrie ich, und wollte ihm gerade das MG wegreißen, da ging alles drunter und drüber, irgendeiner von den Russen mußte eine Handgranate in unser Loch geworfen haben oder auf den Lochrand, jedenfalls war der MG-Schütze tot, und dem braven Schorsch Motschenbacher, einem Nürnberger, einem halben Landsmann von mir, wurden später im Lazarett beide Beine amputiert, und er starb auch, und ich spürte gar nichts, ich hatte ein paar kleine Splitter abgekriegt, die ich nicht spürte, die mir aber das Leben retteten, denn ich kam heim, ich wurde ins Lazarett gebracht, ins Festungslazarett, obwohl ich nicht wollte, Gott, wie dumm man nach drei Jahren Krieg noch war, aber dann, ja, dann freilich, ein paar Tage danach bin ich in eine Maschine gestiegen und in der Nacht rausgeflogen, jawohl: a farewell to arms auch für mich, aber legal, alles legal, bloß: Holzauge sei wachsam.

Aber zunächst freilich lag ich in dem Loch, und als es hell geworden war, sah ich, daß ich direkt neben einem Toten lag, neben einem toten Russen, dessen Kopf schon grün geworden war, er sah grün aus, ich weiß nicht warum, es war ein mongolisches Gesicht, ein Kopf wie von einer toten Katze, es war der erste Russe, den ich sah in diesem Krieg, und ich lag neben dem Toten, und Ernst kam noch herein, Ernstchen aus dem Allgäu, Ernstchen, der Automobilhändlersohn, und als sie später mit den Granatwerfern anfingen und jedes Loch beschossen, stundenlang jedes Loch beschossen, da habe ich gebetet, ich habe den Kopf, den Körper, ich habe alles tief in den Sand gewühlt, neben dem Toten in den Sand gewühlt und gebetet, ich habe gebetet, ich habe zu Gott gebetet, ich habe zur Muttergottes gebetet, und irgendwo an meiner anderen Seite lag Ernstchen im Sand, und Ernstchen betete laut, er betete laut und schrie nach seiner Mutter, jawohl, er schrie nach seiner Mutter, genau wie man es in den Romanen liest, genau so, er hätte mich fast verrückt gemacht, und als er selbst verrückt war, da sprang er aus dem Loch, aber er sprang nach der verkehrten Seite, er lief zu den Russen, und er ist bestimmt nicht lebendig zu ihnen gekommen, sie müssen ihn kalt gemacht haben, noch bevor er zehn Meter gelaufen war, ich weiß es nicht, ich habe nicht meinen Kopf herausgestreckt, ich habe stundenlang nicht meinen Kopf herausgestreckt, und am Nachmittag liefen wir alle davon, Hals über Kopf liefen wir davon, alle die noch lebten, aber die meisten lebten schon nicht mehr.

(entnommen aus Hermann Gieselbusch (Hrsg.) Broschüre zu Band 8 der Kriminalgeschichte des Christentums, S. 79ff.)

 

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