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Leseprobe

Begleitschreiben an den Papst: «Heiliger Vater»

Heiliger Vater, mein Beitrag kommt vielleicht nicht sehr erwünscht, verzeiht; doch kommt er in der besten Absicht. Ihr geht gebeugt, am Stock. Und strahltet einst im Siegerkranz. Triumphe, Gott, Triumphe! Na, wir alle lassen Federn. Wie? Die Geschäfte? Schlecht? Ach, zählt doch nicht. Wem sag ich das. Das alles bringt doch nichts. Herrje, man kommt auch bettelarm durchs Leben! Ihr seid doch selbst der herrlichste Beweis dafür. Arm seit dem Armen Menschensohn. Und Armut noch heute Euer schönstes Signum. Euer edelstes Panier. Noch heute Eure Corporate identity. Wie? Aber freilich, Heiligkeit, freilich ging's besser schon. Gar keine Frage. Als Ihr Kaisern gebotet. Als Fürsten Euch die Füße küßten. Als die «Kirche der Armen» ein Drittel des europäischen Bodens besaß. «Nackt dem nackten Christus nach!» Jawohl, überall die «Gemeinde der Armen». Überall «heilige Armut». Überall Armengut, Armenfürsorge. Alles für die Armen empfangen, für die Armen verwaltet, gepflegt, vermehrt, alles von den Armen gerodet, bepflanzt, beackert, geerntet. Oh, ich bin der letzte, der bestritte, wie glänzend das ging.

Arbeitslose? Nicht die Bohne, Heiliger Vater. Arbeitsplätze! Arbeitsplätze! Jede Menge. Sklaven, Leibeigene, Hörige?Altarhörige. Amtshörige, Dinghörige, Eigenhörige, Gerichtshörige, Grundhörige, Hofhörige, Vogthörige, Zinshörige etc. Und alles eine «familia» ! Eine einzige heilige Solidarität. Alles hatte Arbeit, reichlich, wahrhaftig, servitia, opera servilia, manoperae, carroperae, hatte Fronen zuhauf, Zweitagefronen, Dreitagefronen, Maifronen, Herbstfronen, Ackerfronen, Verkehrsfronen, na, tat «Robot» eben, «welche der Obrigkeit gefällig». Dazu kleine Agrarkrisen dann und wann, Konjunkturkrisen, Beschaffungskrisen. Auch ein bißchen Nahrungsmittelknappheit hin und wieder, Hungersnöte, Epidemien, Viehseuchen, Klimastürze, Naturkatastrophen, Kriegshandlungen und derlei mehr. Überhaupt gab es zeitweise fünfundneunzig, achtundneunzig Prozent, wenn man so will, Unfreie. Na, klingt vielleicht etwas hart, aber, was die Sache angeht, ideologisch alles gut integriert, materiell gleichsam grundherrlich verankert, vieles solid an die Scholle gebunden, damit vererbbar, verkaufbar, glebae adscripti, Kinder und Kindeskinder, seit Ewigkeit von Gott dem Vater so vorherbestimmt. Und vom Sohne. Und vom Heiligen Geiste.

Tja, das war schon was!

Und schön überschaubar, Heiliger Vater. Fest im Griff das Ganze, fest. Was etwa unheilbar, was ansteckend krank war, wurde ausgegrenzt, zum Wohl der Gesunden. Die Juden kamen ins Ghetto. Oder an den Galgen. Geistige Hygiene, Heiligkeit. Soziale Verantwortung. Werte! Wie auch all die «Ketzer», die «Hexen», die Indios, kurz, all die stinkenden Eiterherde just inmitten, man stelle sich das vor, der Gemeinschaft der Heiligen, all dies pestilenzialische Teufelspack, diese «sprechenden Tiere», massenweise hineinflogen in die «gesegneten Flammen der Scheiterhaufen», wie noch heute Katholiken jubeln, ein einziger «feuriger Akt der Liebe» , wozu man «Großer Gott, wir loben Dich» sang.

Gewiß, noch anderes Schmutzvolk gabs. Alle möglichen landschädlichen Leute, Schadenszauberer, Wiedergänger, Hostienfrevler, gottverdammte Sodomiten, die nun (da die Frau ja die Eva war, die Sünderin schlechthin, die «allzeit offne Höllenpforte»), die nun einfach andere Geschöpfe Gottes liebten, allerlei Geflügel, Hunde, Zugvieh, Ziegen ?doch nie, Heiliger Vater, denn auch sündiges Getier, man war konsequent, kam vor den Kadi, nie trat prozessual, mit Verlaub, ein Fisch in Erscheinung, das Symbol der Eucharistie. Aber jede Menge Perverser: Schwule, Knabenschänder, Kinderküzler, sit venia verbo, Astlochficker, Punzenlecker; man disziplinierte peinlich, erforschte wissenschaftlich penibel, theologisch gern im Rekurs auf die Bibel, die von den Juden geklaute zumal ? zog die heilige Kirche doch überhaupt alles, restlos alles, den periphersten Brauch wie die zentralsten Dogmen, aus Kulten und Kulturen vorchristlicher Zeit an sich und gab sie als christliche aus.

Die Strafgewalt praktizierte gewöhnlich der Diözesanbischof; sie war Sache geistlicher Autorität prinzipiell. Wer das bezweifelte, galt als Häretiker. Zur kirchlichen Bestrafung gehörte das Einkerkern. Mancher, oh guter Vater, hing da in ewiger Finsternis lebenslang mit Händen und Füßen an die Wand geschmiedet ? nicht die humanste Lage gerade, aber optimal wohl für den Heilsprozeß. Zur kirchlichen Bestrafung gehörte das Auspeitschen, gezählte und ungezählte Streiche, indes ? nahm man doch immer wieder Rücksicht nur ausnahmsweise bis zum Tod. Auch verdrosch man die eigne Klerisei, die niedere, versteht sich, bis ins 19. Jahrhundert. Zur kirchlichen Pönalisierung gehörte das Skalpieren und Entmannen. Man brauchte eben auch was Zappelndes vor Augen. (Wir haben die Glotze.) Und was Akustisches fürs Ohr, Gefoltertengeschrei, Gewimmer, Geheul. Hei jaa, gregorianische Choräle allein, Palestrina, Orlando di Lasso (selbst «Timor et tremor») taten's nicht. Die Folter, beiläufig (schon von Augustin als «Kur» gefordert, gefördert, gefeiert), galt gar nicht als Strafe, sondern als Beweismittel der Justiz.

Doch man engagierte sich, eifrig und eifernd, war schwer aktiv. hat unentwegt verstümmelt, Heiliger Vater, auf Teufel komm raus geteert, gefedert, «amputiert», hat abgetrennt und durchschnitten. Augen, «Lichtklaviere» (Novalis), herausgerissen, Hände, Füße. Finger weggesäbelt, Nasen, Ohren, Zungen auch. Keine zimperliche Zeit, aber gerecht, Gott, gerecht, ja, gerecht sind Deine Gerichte. Für etwas Holzfrevel ? schließlich schätzte, schützte man das Armengut?wickelte man Ertappte mit ihren Gedärmen um den Baum. Schon bloße «Amputationen» versetzten so unvermittelt ins Jenseits.

Und dann die eigentlichen Todesstrafen. Nein, wie variabel! Wie einfallsreich! Während man heute, viel zu verweichlicht, liberal und lax, Todesstrafen ja kaum mehr kennt, geschweige wirklich würdigt, ausgenommen nur sehr rechtlich denkende, besonders feinfühlige, tugendsame Völker, wie God's own country, wo man den Strang, die Giftspritze, die Vergasung noch kultiviert, auch den Elektrischen Stuhl hoch in Ehren hält, auf dem Übeltäter manchmal regelrecht gebraten, mehrmals ab? und wieder angeschnallt werden, bis das Recht siegt ? selbst über Justizmorde.
Doch zurück ins gottselige Mittelalter.

Nein, welche Möglichkeiten, welche Fülle von Möglichkeiten, heiliger Herr, straffälligerweise jäh ein Entree für Drüben zu erwerben: durch Vergiften, Ersticken, Erwürgen, Enthaupten, Pfählen, Säcken, Verhungernlassen, durch Lebendigzerstückeln, Lebendigeinmauern, Lebendigverbrennen. An Küsten hat man häufig ertränkt oder hinuntergestürzt. Kirchenräuber wurden oft gerädert, Diebinnen lebendig begraben, Ehebrecherinnen gesteinigt, Abtreiberinnen gesäckt, dazu fromme Lieder allenthalben aus den Gläubigenkehlen, Aus der Tiefe rufen wir zu Dir, ergreifend, ergreifend; indes der Vergewaltiger, entmannt oder geblendet, mit dem bloßen Leben noch davonkommen konnte. Zuweilen setzte man auch ganze Kombinationen von Liquidierungsverfahren in Gang; bei Hochverrat, beispielsweise, Schleifen zum Richtplatz, Hängen, Kastrieren, Köpfen, Vierteilen.
Gott, welch kreative, phantasiereiche Zeit! Doch heute, Heiliger Vater? Manche Bischöfe fordern kaum noch den Exitus. Die Todesstrafe wird zum Tabu! Und was nun gar den Krieg betrifft: rein zum Verzweifeln! Natürlich sind die Prälaten, ein paar Spinner, pazifistische Spinner, beiseite, für den Krieg, sehr für den Krieg, stets für den Krieg. Sie waren vom 4. bis ins 20. Jahrhundert dafür. Der Krieg nützt der Kirche, der Krieg füllt die Gotteshäuser, der Krieg füllt die Gottesäcker, der Krieg füllt die Konten. Und deshalb liebt die Kirche den Krieg auch. Hunderte und Aberhunderte von Kriegen führte sie, allein oder mit anderen. Und auch die Bischöfe lieben den Krieg, predigen den Krieg, propagieren den Krieg, den gerechten, selbstverständlich, und auf beiden Seiten, guter Himmel, gleich auf beiden!

Ja, auf beiden schicken sie die Schäfchen, geistlich gestärkt noch durch ein wegweisendes Wort, durch die heilige Wegzehrung, ins Feld. Und jetzt, mit dem Viatikum, mit dem Verkünder des Friedens, der Feindesliebe im Bauch, feuert ein Katholik dem andern mitten hinein in die Fresse, in den Wanst oder wohin immer. Bauchschüsse, Kopfschüsse, Genitalschüsse, schlägt ein Katholik den andern blind, krumm, lahm, vergast, verflammt, erstickt, erwürgt er ihn, nur immer feste druff!, meint aber natürlich gar nicht den bekämpften Katholiken, oh nein, nein, wie könnte er auch, meint nicht den Menschen, nicht mal den Feind, schon wegen der Feindesliebe nicht, nicht wahr, nein, nur das Böse im Feind meint er, haßt er, verabscheut er zutiefst. Das Böse. Doch den andern, den Nächsten, das Ebenbild Gottes, das alles liebt er gewiß ganz christlich herzinniglich, während er nur das Böse darin totschlägt und dabei, so ist das nun mal im Krieg, trotz aller Moraltheologie, leider. leider, auch den Menschen, den geliebten Glaubensbruder, totschlägt, so daß sozusagen eine besondere Art Kollateralschaden entsteht ? aber anders kann man das Böse auch heute noch nicht entfernen, trotz oder wegen aller Moraltheologie.

Entfernen ... Ja, darum ging es mir.

Entfernt nämlich, wollte ich sagen, haben sich seit langem die Bischöfe, schnöde entfernt vom eigentlichen, vom ehrenwertesten Schauplatz des Geschehens und der Geschichte. Denn die hochwürdigsten Herren, peinlich zu sagen, halten inzwischen die Stellung, die verteidigten Bastionen, nur noch ganz hinten, sitzen längst nicht mehr hoch zu Roß, sitzen vielmehr, gut besoldet, im Palais, im Bischofsbunker, beim Schäferstündchen gar, das Schätzchen auf dem Schoß. Doch einst, oh Herr im Himmel, Heiligkeit, die Bischöfe, die Päpste selbst, bis an die Zähne bewaffnet kämpften, bluteten sie, schwangen sie das Schwert in persona, an vorderster Front fochten sie, fielen sie, für alles mögliche, wenn es nur hoch und hehr und heilig war, vor allem für die heilige Kirche, die heilige Sache, die heilige Armut stritten sie und ritten sie, rund um das Kirchenjahr und durch die Zeiten, gegen die Könige, gegen die Fürsten, gegen geringeres adliges Kroppzeug auch, gegen fremde und eigene Potentaten, mit dem Papst gegen den Kaiser, mit dem Kaiser gegen den Papst, mit einem Papst gegen den andern, und selbst dies immerhin einhundertsiebzig Jahre lang. Bischof auch zog wider Bischof, der Pfarrer wider den Mönch, Kloster wider Kloster. Ja, Schlacht auf Schlacht schlug man, im offenen Feld, im Gotteshaus, operierte auch immer wieder mit Gift für Christus und überhaupt auf jede mögliche Weise.

Oh, Heiligkeit, was für ein frühlingsfrisches, christliches Leben!

Doch dafür wollt Ihr, sollt Ihr Euch jetzt - entschuldigen? Dafür die so leidige, diese einfach entsetzliche Exkulpation? Um Verzeihung bitten die sündige Welt? Die ungläubige? Die sich mokierende? Motzende? Um Nachsicht ersuchen, um einen Generalpardon - für die Heilsgeschichte?! Für eine Geschichte, bei der doch, schon der Name sagt es, alles um der Heilung, Heiligung, des Heiligen willen geschieht. Bei der doch alles um die Heilsbotschaft, die Heilslehre, Heilswahrheit kreist, um den Heilswillen, die Heilsfürsorge, Heilsvermittlung, Heilsgewißheit, Heilsnotwendigkeit. Ach, die Geschichte der Kirche ist voll von Heilem und Heiligem! Quillt über von Heiligen Stätten, Heiligen Ländern, Heiligen Reichen, von Heiligen Zeiten und Heiligen Jahren, Heiligenfesten und Heiligtümern, Heiligenschreinen und Heiligenscheinen, von Heiligen Schriften, Heiligen Sakramenten, Heiligen Synoden, von Heiligen Röcken, Heiligen Lanzen, Heiligen Vorhäuten auch, von Heiligenlegenden und Heiligen Kriegen.

Freilich, die Welt darf nie vergessen, daß es bei der Heilsgeschichte, wie unglaublich segensreich, wie unglaublich wunderbar auch immer, bisher doch stets bloß um ein pars pro toto, um eine Teilerfüllung ging. Die Welt darf nie vergessen, daß der gesamte Heilsvollzug, die Totalität der Glückseligkeit, noch aussteht, daß das Heil, als Ziel aller Geschichte, von Gott selbst, dem Deus absconditus, dem geheimnisvollen, dem in Menschwerdung und Kreuz verborgenen, erst noch verwirklicht werden wird. Und vor allem darf die Welt nie vergessen, nie: wo so viel Heil und Heil und Heiligkeit, so viel Fürsorge, Toleranz, so viel Hilfe, Humanität, Liebe, so viel Selbstlosigkeit, kurz, wo so viel Glanz und Licht ist, fällt natürlich auch Schatten, dämpfen diverse Dunkelheiten das Strahlende, das die Welt ohnedies zu schwärzen liebt. Es gibt, von niemandem bezweifelt, banale Vorerfahrungen, profane transitorische Fakten, gibt korrelative Kontakte zwischen dem Heilsweg. dem ordo salutis, und der kriminellen Seite der Historie, zwischen providentieller Huld und geschöpflicher Schuld, zwischen den Offenbarungswahrheiten und den Schrecken der Sünde und des Todes. Es gibt Trübungen, durchaus dunkle Punkte in der irdischen Erscheinung der Kirche. Es muß, jawohl, diese dunklen Punkte geben, denn auch in der Gemeinschaft der Heiligen leben und führen nur Menschen, heiligt und menschelt es bunt durcheinander - übrigens ohne daß es dabei, bemerkenswerterweise, sonderliche Unterschiede gäbe zwischen den Unterschieden. Und da Heiligkeit schon entschlossen sind, unerschrocken den einen oder anderen prekären Aspekt zu benennen, mit aller angemessenen Dezenz, wie ich meine, und natürlich viel weniger als Vergehen der heiligen Kirche denn als greulichen Frevel von Christen, besonders von Laienchristen, in der Kirche und mehr noch außerhalb der Kirche, ja, da dem nun leider so ist, möchte ich Heiligkeit ganz behutsam zur Hand dabei gehn.

Apropos Hand. Man kann kaum sagen, wir hätten bisher einander - ja, eben in die Hand gearbeitet; obwohl man dies - und nicht im Hinblick bloß auf das Buch, in dem wir Koautoren sind - schon oft und todernst behauptet, mir sogar gedroht hat mit Heiligsprechung in fünfhundert Jahren. Schließlich kümmern wir uns beide um dieselbe Sache, und jeder, weiß Gott, bekümmert genug und all sein Leben lang. Und da mein stilles Forschen, mein Inquirieren in spiritualibus auch dort verfolgt wird (bloß bildlich gesprochen), wo Rom am heiligsten, wo die sanctitas dicht ist wie nirgends, außer im Himmel, liegt's nicht nahe, Heiligkeit, Heiligkeit selbst könnte schon hineingeschaut haben? Hinein in meine Höllenforschungen, meine ich? Und könnten die, diese so eindringlichen wie ausgedehnten Erkundungen, Ihr spektakuläres Projekt nicht ein wenig stimuliert, vielleicht gar inspiriert haben? Eine schon öffentlich ventilierte Vermutung - geht es auch etwas weit, wünscht einer Ihrer Theologen mir eben zum Geburtstag: «Septuagesimo quinto anno» wäre doch ein geeigneter Titel für eine Enzyklika, in der der Heilige Vater (79) Ihr Wirken würdigen könnte.»

Wie auch immer, der freundliche Spott Ihres geistlichen Knechts erinnert mich an das, was, wenn Sie erlauben, uns, Heiligkeit und meine Nichtigkeit, unstreitig verbindet, über alle Abgründe und Geistlichkeiten hinweg. Sie erraten es gewiß. Denn was schon sollte zwei Menschen verbinden, zwei Menschen wie Sie und mich, wenn nicht das rein Menschliche eben, schlechthin Schicksälige, das Alter und der Tod? Und seh' ich, selber alt bereits, mitunter Sie, nur Sie, nicht den papalen Routinier, den Profi aus der Stellvertreter-Branche, nein, nur den gebrechlichen, schon recht mühsam am Stock sich durch die Länder quälenden, den so vor aller Augen dahinsiechenden Karol Wojtyla, so geschieht es nie ohne Mitleid.

Doch nur kein Sentiment. Auf Ihrer Seite, offen gesagt, heiliger Herr, ist man nie sehr gefühlig gewesen - obwohl dazu niemand auf Erden mehr Grund gehabt hätte -, ergo warum sollte ich es auf der anderen Seite sein?

Kommen wir zum Schluß.

Ich dachte, mit dem folgenden rhapsodischen Rapport Ihnen vielleicht etwas Arbeit abzunehmen, eine bescheidene Basis zu bieten für das Sondieren allfälliger Schuldeingeständnisse im Heiligen Jahr 2000. Ich dachte, Ihnen beim mühseligen Studium der Kirchen- und Christengeschichte entgegenkommen zu können, ja, fast zu müssen, zumal Ihnen das Regieren schon lange keine Zeit mehr zum Studieren läßt, und alle Männer, die Geschichte machen, die Geschichte am wenigsten kennen.

Ich weiß nicht, ob Ihnen die zugedachte kleine Handreichung oder, falls zu sagen gestattet, Gedächtnisstütze, ob das sich anschließende Potpourri aus meinen Schriften, eine fraglos sehr selektive, doch auch sehr einschlägige Sammlung unterschiedlichster Geschichtsgeschehnisse aus zwei Millennien, ich weiß nicht, ob dies Ihren bevorstehenden Ruf um Verzeihung erleichtern kann Ihrem Ruf (das Wort jetzt weniger wörtlich genommen) und dem Ruf Ihrer Kirche wird es kaum förderlich sein. Und eines weiß ich sicher, wissen auch Sie sehr gut, daß nämlich dieses Ihr «Sorry» nichts, daß es kein Jota ändern wird, und zwar weder am Elend all der vergangenen Opfer der Kirche, noch am Elend all ihrer künftigen Opfer, noch auch am Elend all der Opfer, der vergangenen wie künftigen, durch Sie selbst, durch Sie, Johannes Paul II.

Die Opfer sollten Sie vermeiden helfen. Die Opfer haben Sie vermehrt. Die Opfer werden Sie nach Ihrem Tode noch vermehren. Zum Beispiel durch Ihre Sexualpolitik. Zum Beispiel durch Ihre Balkanpolitik. Zum Beispiel durch Ihre Politik in Lateinamerika. Glauben Sie doch nicht, daß Ihr Reueschreichen - ob ernst gemeint oder nicht ganz dahingestellt - die Welt erschüttern wird. Die Welt wird glotzen. Doch Ihre Worte erschüttern sie nicht. Ihre Taten erschüttern sie. Vor allem die Welt der Armen, der die «Kirche der Armen» stets am meisten geschadet, die sie stets am schlimmsten, am schäbigsten verraten hat, von Jahrhundert zu Jahrhundert, bis heute. Das einzige Resultat aber Ihrer Verlautbarung wird, kurz gesagt, dies sein: wieder ein paar Skrupel weniger bei der hörigen Herde und bei den Hirten wieder eine Scheinheiligkeit mehr.

Anno Diaboli 1999

 

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