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Leseprobe

Den Progressisten Gruß zuvor

 

Weil der Bischof nicht partout mehr Exzellenz sein will, der Pfarrer auch Zivil trägt und die Nonne kürzere Röcke; weil Galilei nun schon vor Monaten kirchlich gerechtfertigt und so mancher hilfreiche Heilige, nur weil er nie gelebt hat, kaltblütig im Kalender gestrichen worden ist; weil der Jesuit nicht mehr mit falschem Bart reist, sondern nackt sich unter die Nudisten mogelt, wenn nicht gar, minder offenherzig, unter die Jünger von St. Marx; weil in Rom der Heilige Vater, routiniert wie ein gewisser Rauschgoldengel, «Frieden, Frieden!» fleht, nicht nur zur Weihnachtszeit, urbi et orbi Attitüden zelebrierend, daß jeder Staatsmann vor Neid erblaßt; weil schließlich im Petersdom, superflua non nocent, mal wieder pompös ein Prälatenensemble gastierte, wobei so vieles doch «aufbrach», in «Bewegung» geriet, sich zur «Welt» hin «öffnete», zum «Pluralismus der Meinungen», «Dialog» - deshalb also glauben nun beinah nicht die Dümmsten allein, der Erdkreis sei anders, der Katholizismus liberal und seine Theologie fortschrittlich geworden...

Doch wenn ein Theologe fortschreitet, ist er kein Theologe mehr!

Wenn der Katholizismus liberal wird, ist er kein Katholizismus mehr!

Und wenn ein Christ zu denken anfängt, logisch nämlich, und entsprechend auch handelt, kommt immer ein Nichtchrist heraus ? oder, zugegeben, ein fieser Opportunist.

Um alles in der Welt: Was denn ist anders jetzt? Ja, was hätte sich geändert, selbst wenn dem «Aufbruch» der Mimen und Statisten nicht gleich der große Abbruch gefolgt, die Versammlung der Heiligen nicht in jeder Hinsicht zu Ende gegangen wäre? Gälte die Gottheit Jesu nicht mehr? Das Geheimnis der Trinität? Das Mirakel der Transsubstantiation? All das Fabelhafte der Mariendogmen? Ergo dies ganze grandiose Gewebe aus grob gehäkelter Sophistik und gnadenvoller Geisterseherei?
Oder hätte man den urchristlichen Kommunismus eingeführt und die Militärbischöfe kurz, aber gut über die Klinge gejagt? (Nur ein paar Hirten statt all der Herden?!) Gäbe es diese greuliche Sexualmoral nicht mehr? Wäre die Abtreibung erlaubt? Die Empfängnisverhütung? Der Koitus mit jedem, der geschlechtsreif und willig ist?

Propagiert die Religion der Liebe denn nun - die Liebe? Oder verlangt sie nicht nach wie vor Enthaltung außerhalb der Ehe und oft genug auch in ihr? Wird sie mit den Reichen nicht immer reicher - und auf wessen Kosten wohl? Ist sie nicht weiterhin bereit, jedes ihrer Schäfchen flugs schlachten zu lassen, sobald ein Staat dies befiehlt? Im Westen wie im Osten? Geht sie nicht mit den Faschisten von Griechenland bis Chile? Und mit den Kommunisten in Polen, in der UdSSR? Liest sie nicht in Spanien sogar Gedächtnismessen noch für einen Hitler?

Kurz, treibt sie's nicht wie eh und je? Macht sie nicht die altbekannte feiste fromme Miene zum altbewährten bösen Spiel? Denn prostituierte sie sich nicht bei Paulus schon? Verkaufte sie sich nicht seit Konstantin? Schlüpfte sie nicht in jeder trüben Stunde der Historie zu den Potentesten ins Bett, bald würdevoll steif, bald mit einer Gummisäule als Rückgrat? Weil sie selber voller Machtsucht war? Voller Ränke und Raffgier, Diabolik und Dünkel und unbegrenzter Barbarei? Benutzte sie nicht stets eine frech angemaßte Hoheit zum Verbergen ihrer Niedertracht? Brauchte sie nicht allzeit ihr Friedenspalaver, um ihr Kriegsgebrüll zu salvieren? Und ihre Nächstenliebe zur Tarnung ihrer Ausbeuterei? Und ihr Keuschheitsgeheisch zur Schaffung von Sündern? Waren die guten Menschen in dieser Religion je etwas anderes als die Feigenblätter für die bösen? Und bestimmten nicht gerade die Gangster ihre Politik? Machten nicht gerade sie Geschichte? Die Geschichte - des Heils? Des Heils und Siegs? Des großen Halsabschneidens? Des steten Schlachtens und der steten Schröpferei?

Man sieht: Mysterien werden hier nicht aufgetischt. Von Erbschuld und Erlösung ist da kaum die Rede. Wenig von Weissagung und Wundern auch. Weihrauch wölkt nirgends. Dito Transzendenz. Statt dessen stehen hier, schlicht und fürchterlich, Fakten - Tatsachen des Unheils natürlich nur, die grauenhaftesten terrores religionis. Denn das allein gehört daher. Und wie etwa, so schrieb ich schon einmal, Erbauliches über «Die Schönheit der katholischen Kirche», über «Frohes Gehen zu Gott» oder «Mit dem Rosenkranz in den Himmel», wie Erhebendes mit dem Auftakt «Warum ist's denn in unserer katholischen Kirche so sonnig und wonnig, so wohlig und warm?» «Weil da vorne das Lichtlein brennt und weil wir Marienlieder singen», wie derartiges mit einigem Recht nichts über unser Thema bringt, so dies hier, mit noch etwas mehr Recht, nichts über das Sonnige und Wonnige der Catholica, über ihr warmes Weltbild, ihren blühenden Kitsch. Man kennt das aus Millionen Büchern, Millionen Predigten, Bibelstunden, Beichtgesprächen - und glaubt es dennoch immer weniger.

Ist also das Folgende einseitig - die andere Seite ist es auch! Ja, ist sie's nicht viel mehr sogar? Und mit den übelsten Gründen? Bei verheerendster Praxis, weltgeschichtlichen Schocks und Scheußlichkeiten ohne Ende - trotz all der braven Krankenschwestern, des Kölner Doms und der Bahnhofsmissionen etc. pp.?

Denn warum mied die Kirche so die öffentliche Diskussion? Warum weicht sie ihr noch heute aus? Oder wo erlaubte sie uns, nur ein bißchen mit ihr die Klingen zu kreuzen, ganz friedlich fast? In den Kirchen etwa? Den Schulen? Auf den Markt- und Kasernenhofplätzen? Im Rundfunk, just nach dem «Wort zum Sonntag» vielleicht, bei dem ihre Diener doch, diese oft so jovialen Finsterlinge, als ertrügen sie es selbst nicht mehr, kaum noch Christus und christlich sagen und nur zuletzt mit einem kleinen gutgemeinten Branchentrick, einem fast schon verschämten Schlußdreh - ernst und freundlich - fest, Aug in Auge gleichsam mit dem fernen Seher -, den Deux ex machina präsentieren wie den Phönix aus der Asche?

Ja, warum scheute und scheut sie so die Auseinandersetzung, zumal die Debatte vor dem Volk, das sie doch ganz und gar gegängelt, stets selber unterwiesen und erzogen hat? Warum brauchte sie den Index? Die Folter? Die Zensur? Die Bücherverbrennungen schon seit den Tagen der Apostel? Und dann auch das Verfeuern von Menschen zuhauf? Warum grassierten da wie nirgends die abgeschmacktesten Altmännermären und die fatalste Besserwisserei? Warum herrschten da dauernd Intoleranz, Terror und Despotie? Taumelte man durch zwei Jahrtausende a verbis ad verbera, vom Wort zum Mord? Oder ist das schon wieder zu einseitig gesehen? Doch wie einseitig immer - wahr ist es auch! Und das eben fragt sich bei ihren Dogmen noch. Oder vielmehr: Es fragt sich durchaus nicht!

Denn warum insistiert man da seit je so aufs Credo? Stellt man den Glauben stets über alles? Propagiert man die Demut, die Torheit, das Zu-Kreuze-Kriechen, das flectamus genua und sacrificium intellectualis - und immer recht drastisch mit Himmel und Hölle im Hintergrund, Vordergrund, Untergrund, mit der Beschwörung aller Engel und Erzengel und mehr noch natürlich des Fürsten der Finsternis samt seinen Heerscharen und Schrecken. . .?

«Sie möchten zum Glauben gelangen, und Sie kennen nicht den Weg dahin», meint selbst ein Genie wie Pascal.» Sie möchten vom Unglauben geheilt werden, und Sie bitten um die Arznei: Lernen Sie von denen, die in Ihrer Lage waren ... Handeln Sie so, wie diese begonnen haben: nämlich alles zu tun, als ob Sie gläubig wären, Weihwasser zu benutzen und Messen lesen zu lassen usw. Ganz natürlich wird das Sie sogar glauben machen und verdummen.»

Glauben machen und verdummen - das eben aber ist nicht unser Rezept, nicht unser Vademecum und Heilsangebot. Im Gegenteil. Allen meinen Lesern rufe ich hier zu: Seid skeptisch! Voller Argwohn! Mißtraut mir! Forscht selber! Nicht nur in den Bischofspostillen freilich, der «Bildpost», bei Ratzinger, Rahner und Küng! Lest wenigstens ein paar auch ihrer Gegner! Lest beide Seiten! Vergleicht!

Das andere ist dann nur noch eine Frage der Redlichkeit.

Dieses Taschenbuch bringt fünf Aufsätze von mir. Der erste Beitrag, «Man nennt es Heilsgeschichte», und der letzte, écrasez l'infâme», stammen aus meinen Sammelbänden «Das Jahrhundert der Barbarei» und «Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin», die beide vergriffen sind. - «Weide meine Lämme» entspricht der Einleitung zu dem gleichfalls von mir edierten Werk «Kirche und Krieg». - «Das Kapital der Kirche in der Bundesrepublik» steht im vierten Band der von Gerhard Szczesny besorgten Reihe «Club Voltaire». - Der Essay «Christentum und Sexualität» ist neu.

Mit Ausnahme meiner Rede «Ecrasez l'infâme» - die ich, als Corpus delicti gleichsam, als Gegenstand eines mir 1971. wegen «Kirchenbeschimpfung» in Nürnberg gemachten Prozesses, nicht mehr antasten wollte und unverändert wiedergebe (abgesehen von einem eliminierten Passus, den schon «Das Kapital der Kirche in der Bundesrepublik» enthält) - habe ich alle anderen Aufsätze mehr oder weniger formal überarbeitet. Einige kurze Stellen, die analog in mehreren Büchern standen, werden nun jeweils bloß in einem Beitrag, einige andere ähnlichlautende Wiederholungen aber absichtlich in jedem beibehalten.

Auf den Abdruck von Quellenhinweisen wurde hier verzichtet. Wer will, lese sie in den oben genannten Publikationen nach. Wie man überhaupt dort und in meinen Büchern «Abermals krähte der Hahn», «Mit Gott und den Faschisten» sowie dem gleichzeitig erscheinenden «Das Kreuz mit der Kirche» Materialien und Erörterungen zu den hier angeschlagenen Themen in Fülle findet.

Karlheinz Deschner, 1974

 

Kirche des Un-Heils

Leseprobe

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- Leseprobe
- Ausgaben / Bezugsquelle
- Pressestimmen
- Leserstimmen

 

       
           
 

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Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 23.12.2003 - Änderungen vorbehalten -