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MIZ, 2/04

Aufklärung als Ärgernis
Karlheinz Deschner wurde an seinem 80. Geburtstag gebührend gefeiert

 

Der Jubilar selbst hatte es vor dreißig Jahren auf die Tagesordnung gesetzt: wann sei es endlich soweit, daß sie untergeht “in einem Sturm von Gelächter”, diese Liebesreligion, die Lust schon immer als das größte Verbrechen ansah und deren tödlicher Ernst nahezu 2000 Jahre lang die Geschichte der Welt bestimmt hat. Es wäre sicherlich sein schönstes Geschenk geworden, aber das Christentum ist halt eine viel zu ernste Angelegenheit, um solch frivole Wünsche ernst zu nehmen. Schade drum, aber trotzdem war der Festakt zum 80. Geburtstag von Karlheinz Deschner, der am 23. Mai in Haßfurt stattfand, eine ausgesprochen fröhliche Angelegenheit, der die übliche weihevolle Steifheit solcher Anlässe völlig fehlte.

Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, daß die Organisatoren offiziellen Sektempfang und anschließende Feierstunde getrennt hatten: ersterer wurde von der Stadt Haßfurt und dem Landkreis Haßberge durchgeführt, als Ehrung für den bekannten ortsansässigen Schriftsteller; für letztere zeichneten die Giordano-Bruno-Stiftung und der Rowohlt Verlag verantwortlich. Dieser kluge Schachzug ermöglichte es, den Feierlichkeiten mit dem Alten Rathaus einen würdigen Rahmen zu geben, und erleichterte es den Kommunalpolitikern, Karlheinz Deschner auch offiziell Anerkennung zu zollen. Und zugleich konnte dem Aufklärer Deschner, der mit seinen kirchenkritischen Arbeiten nicht nur in seiner tiefschwarzen Heimatregion aneckt, ein Fest geschenkt werden, das so diesseitsorientiert war wie das versammelte Publikum.

Die rund 150 Gäste im Saal konnten als Querschnitt durch die säkulare deutschsprachige Szene angesehen werden. Hochrangige Intellektuelle, die wichtige religions- und kirchenkritische Werke veröffentlicht haben, von Hans Albert bis Hans Wollschläger, waren ebenso zugegen wie zahlreiche Vertreter aus den Verbänden der Konfessionslosen; Autoren, die mit Deschner zusammengearbeitet haben, saßen neben “einfachen” Lesern, die irgendwann einmal dem bekannten Kirchenkritiker mitteilten, welche Bedeutung sein Werk für ihren persönlichen Werdegang hatte, woraus sich ein lebenslanger Briefwechsel entwickelte. So konnte die Gästeliste als Beweis für die überragende Wertschätzung gelten, die Karlheinz Deschner im Kreise der ideologie- und gesellschaftskritischen Intelligenz genießt (der Philosoph Wolfgang Stegmüller hatte ihn ja schon vor Jahren zum “bedeutendsten Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts” gekürt), und zugleich illustrierte sie seine “Bodenhaftung”.

Da Karlheinz Deschner viele umfangreiche Werke – von Abermals krähte der Hahn bis zu den bislang acht Bänden der Kriminalgeschichte des Christentums – vorgelegt hat, gingen die Veranstalter wohl davon aus, daß Deschner-Leser auch gute Zuhörer sein müssen, denen Konzentration für immerhin acht Redebeiträge zugetraut werden könne. Das war in der Tat viel Text, doch boten bereits die Grußworte so manche Überraschung. Wer hätte gedacht, daß Landrat Rudolf Handwerker (CSU) seine Begeisterung für Deschners Bücher (und keineswegs nur die unterfränkischen Landschaftsbilder) bekennen würde? Und Hermann Gieselbusch, sein langjähriger Rowohlt-Lektor, lüftete das “Geheimnis” der Exkommunikation Deschners – eine aus heutiger Sicht groteske Geschichte, die in den 1950ern freilich viele traf, die einen geschiedenen Partner heirateten. Da die Redner in verschiedenen Rollen mit dem Geehrten zu tun hatten, entstand im Laufe des Abends ein facettenreiches Bild des Schriftstellers, aber auch des Menschen Karlheinz Deschner.

 

Aufklärer als Mutmacher
In seiner Laudatio konzentrierte sich Hermann Josef Schmidt, Experte für das frühe Werk eines anderen radikalen Christentumskritikers: Friedrich Nietzsche, auf den Aufklärer, der einer ganzen Generation von Kirchenkritikern den Weg bereitete. Denn Deschners Verständnis von Kritik, in der sich angriffslustige Polemik und fundierte Sachkenntnis zusammenfinden, hat so manche Debatte in der Bundesrepublik geprägt. Dies zeigte der Laudator nicht nur anhand des christentumskritischen Œuvres, auch die literaturkritischen Essays, der “glänzende Kommentar politischer Intentionen und Praktiken der größten Weltmacht”, Der Moloch, und die Aphorismen haben nicht zuletzt aufgrund dieser Mischung ihr Publikum wie ihre erbitterten Gegner gefunden. Deshalb wird, so Hermann Josef Schmidt, von Karlheinz Deschner auch mehr “bleiben” als nur die Kriminalgeschichte als Standardwerk der Christentumskritik. Denn der “Kultur- und Politikkritiker als moralische Institution”, der unkorrumpierbar die Politik der Herrschenden analysiert und mit stilistischer Brillanz dagegen anschreibt, behält längerfristig eine Vorbildfunktion für jüngere kritische Autoren.

Während der Professor für Philosophie Schmidt in seinem brillanten Vortrag, der es verdient, nachgelesen zu werden, also Deschners Platz in der Ahnengalerie der Aufklärung beleuchtete, näherte sich sein Mäzen und Freund Herbert Steffen aus einer völlig anderen Perspektive: er erzählte, welche Bedeutung die Begegnung mit den Arbeiten Deschners für ihn persönlich hatte und gab damit ein Beispiel für die ganz konkrete emanzipierende Wirkung des Autors. In seiner Wandlung vom engagierten Katholiken zum weltlichen Humanisten spiegelte sich der Weg, den wohl viele Leserinnen und Leser der Kriminalgeschichte genommen haben: der zunächst rational begründeten Lösung von der Kindheitsreligion folgt, bestärkt durch die Lektüre der Geschichte des real existierenden Christentums, das Gefühl, das Richtige getan zu haben; diese auch emotionale Befreiung wird wiederum zur Grundlage des Eintretens für eine andere Welt. Für Herbert Steffen hieß letzteres unter anderem die Unterstützung jenes Mannes, der tagein, tagaus in Haßfurt am Schreibtisch sitzt und es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Verbrechen des Christentums zu dokumentieren.

 

Deschner-Preis
Daß der Mäzen dabei über den Tag hinaus plant, zeigt die Gründung der Giordano-Bruno-Stiftung (siehe Rubrik Zündfunke) wie auch die Stiftung eines Deschner-Preises. Letzterer ist, entgegen den üblichen Gepflogenheiten, noch zu Lebzeiten des Namensgebers eingerichtet worden. Denn, so der Mäzen, unter säkularen Gesichtspunkten sei es fragwürdig, mit der Ehrung eines Menschen bis nach dessen Tod zu warten. Da der Preis als Förderpreis angelegt ist, also Forschungen auf dem Gebiet des evolutionären Humanismus ermöglichen soll, hat er eine politische Ausrichtung im Sinne Deschners: er fördert Aufklärung und jene, die sie unter den schwierigen Bedingungen der Gegenwart betreiben. Und so mancher im Saal mag in dem Moment, als der Preis angekündigt wurde, daran gedacht haben, wie sehr es dem Jubilar geholfen hätte, wenn so etwas vor 40 Jahren existiert hätten...

Als Karlheinz Deschner dann selbst ans Rednerpult trat, um seine Dankesrede zu halten, betonte er zunächst, der Höhepunkt habe bereits stattgefunden – womit er die virtuose Darbietung des russischen Pianisten Igor Kamenz meinte. Wer ihn an dem Abend beobachtet hatte, wußte, daß dies keine rhetorische Bescheidenheitsbekundung war; so sehr ihn die Anerkennung für sein Lebenswerk sichtlich freute, so wenig mochte Deschner im Mittelpunkt stehen. Allzuviel Aufmerksamkeit erscheint dem Individualisten möglicherweise verdächtig.

Mit seiner Rede überraschte Deschner wohl die meisten der Anwesenden. Denn er, dessen Kritik stets eine moralisch fundierte war, erörterte die Möglichkeiten der persönlichen Freiheit und stellte den freien Willen in Frage. Er zog einen scharfen Trennstrich zwischen der Tat, die zu bewerten sei, und dem Täter, dessen Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Verhältnissen er ins Blickfeld rückte. So manchem erschien dies als Widerspruch zu bislang vertretenen Positionen und noch bei Tisch wurde sehr kontrovers darüber diskutiert. Wie weit reicht die menschliche Möglichkeit, Positionen und Handlungen gewissermaßen aus sich selbst heraus zu reflektieren? Wieviel an unserer Unmündigkeit ist, im Jahre des 200. Geburtstages Immanuel Kants, “selbstverschuldet”? Ist die Vorstellung des freien Willens eine Erfindung der Religionen, um dem Menschen besser Schuld einreden zu können? Als erfolgreichem Aufklärer war es Deschner gelungen, seine Gäste im Unruhezustand zum Bankett zu entlassen.

 

Unruhe in Haßfurt
Unruhe hatte es freilich bereits vor dem Festakt gegeben, als sich der christliche Mob in den Leserbriefspalten darüber echauffierte, daß die Stadt für so einem wie Karlheinz Deschner überhaupt einen Festakt ausrichte. Die Offiziellen ließen sich davon erfreulicherweise nicht irritieren, die Mehrheit der Bevölkerung schätze ihren schreibenden Mitbewohner wirklich, lautete die Einschätzung von Bürgermeister Rudi Eck. Nach den Zeitungsberichten über die Ehrung schlugen die Wogen erneut hoch. Anlaß waren Bemerkungen des Redakteurs über die multimedialen Einspielungen, die das Programm aufgelockert hatten.

Die Filmausschnitte und Ton-Collagen führten in Verbindung mit den pianistischen Einlagen von Igor Kamenz dazu, daß die dreieinhalb Stunden ein ziemlich einzigartiges Gesamtkunstwerk wurden. Ricarda Hinz führte einige Sequenzen aus ihrem vor zehn Jahren produzierten Film vor, der Freunde und Gegner Deschners zu Wort kommen läßt. Ein anderer Kurzfilm war Deschners Aphorismen gewidmet. Die Gemüter erregte jedoch etwas anderes: der Spott über die katholische Kirche. Michael Schmidt-Salomon, der als “Zeremonienmeister” souverän durch den Abend leitete, hatte im typischen Singsang einer Papstrede ein “Grußwort” Johannes Pauls II. aufgenommen, in dem der Pontifex bekennt Deschners größter Fan zu sein und diesen bittet, seine Leidenschaft “dem Ratzinger” bloß nicht zu verraten. Die abschließende Collage, die zu Bildern einer Reliquienausstellung eine Passage aus Deschners Sexualgeschichte des Christentums – nämlich die Absurdität der 13 Vorhäute Jesu – zu Gehör brachte, führte sogar zu einer solchen Empörung, daß die Stiftung sich veranlaßt sah zu erklären, daß Karlheinz Deschner für die Gestaltung des Festprogramms keine Verantwortung trage.

Die “unheilige” Stimmung am Ende der Feier stieß merkwürdigerweise nicht nur bei religiösen Eiferern auf Ablehnung. Auch unter den Gästen erschien es einigen nicht angebracht, daß an einem solchen Tag auch herzhaft gelacht werden sollte. Vielleicht hatten die Ladies & Gentlemen den allerletzten Satz überhört, der programmatisch den von Karlheinz Deschner selbst formulierten Unterschied zwischen “heiligem” Krieg und Einsatz für ein besseres Diesseits wiedergab: “Wann geht sie unter, diese Liebesreligion – nicht durch Zorn, durch Rache, durch Folter und Scheiterhaufen, nein, in einem Sturm von Gelächter, der den Erdball erschüttert...” Oder war es ein Beispiel für das Phänomen “Kirche im Kopf”, für das Fortleben klerikaler Denkmuster bei Menschen, die sich formal längst von der Kirche gelöst haben? Die Organisatoren hatten bei der Konzeption des Programms wohl an eine Liedzeile von Wolfgang Ambros gedacht: “Das Leben ist ein Heidenspaß, für Christen ist das nix.” Und die Mehrzahl des Publikums hat es ihnen gedankt.

Gunnar Schedel

 

 

 

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