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Konkret (Onlineausgabe), 23.5.04


Gott: "Wenn es Deschner nicht gäbe, müßte ich ihn erfinden." (KONKRET 2/1987)
Aus Anlaß des 80. Geburtstags des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner am 23. Mai

Der Papst hat Bataillone, Karlheinz Deschner kämpft ganz allein. Peter Dahl hat den Kirchenkritiker nach den Gründen für die Ohnmacht der Ungläubigen gefragt

KONKRET: Man wird in dem, was man den Literaturbetrieb nennt, nur über eine Charakterisierung Karlheinz Deschners leicht Einigkeit herstellen können: Deschner ist ein umstrittener Autor. Schon sein erstes Buch, der Roman "Die Nacht steht um mein Haus", hatte die widersprüchlichsten Kritiken. Umstritten waren seine literaturkritischen Bücher, die mit ihrer Schärfe die zuvorkommenden Umgangsformen im Literaturgeschäft durcheinanderbrachten. Und die radikal gestellt Gretchenfrage seiner kirchen- und religionskritischen Arbeiten wurde und wird nicht selten mit wütender Polemik beantwortet.

Deschner: Ich war von Anfang an sehr umstritten, und ich bis es auch heute noch. Ich will mich darüber nicht beklagen; wie man in den Wald ruft, so hallt es wider, und umstritten zu sein ist nicht das Schlechteste, was einem Autor widerfahren kann. Das Schlimmste ist das Totschweigen, das Nicht-zur-Kenntnis-nehmen, und ich könnte mich freilich beklagen, daß es immer ruhiger um mich wird. Aber das liegt in erster Linie an mir; ich brauche zum Produzieren meiner Bücher immer mehr Zeit, weil die Selbstkritik immer größer wird. Das ist das, was mich eigentlich beunruhigt.

KONKRET: Sie waren 21 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Welche persönliche und literarische Zielsetzung suchten Sie damals, als in Deutschland noch alles offen, die Richtung kommender gesellschaftlicher Entwicklung noch nicht festgelegt schien?

Deschner: Man dachte, die Tore haben sich nun aufgetan, alles ist möglich, alles kann von vorne angehen; aber das war natürlich ein ungeheurer Irrtum, sowohl in privater als in allgemein weltgeschichtlicher Hinsicht, weil die Gegenwart und die Zukunft ja nicht aus heiterem Himmel kommen, sondern alles in gewissen Bahnen fortläuft und auch die Auswirkungen der Nazizeit im Subjektiven wie im Allgemeinen immer deutlicher zu erkennen sind. In einer solchen Situation habe ich mein ersten Buch "Die Nacht steht um mein Haus" geschrieben, genau auf dem Scheidepunkt meines Lebens, bis zu dem ich geglaubt hatte, ich hätte alles noch vor mir, und an dem ich plötzlich erkannte: Alles ist im Wesentlichen bereits festgelegt, es gibt gar keine neuen entscheidenden Möglichkeiten mehr. Und zwar erschien und erscheint mir alles in zweifacher Hinsicht festgelegt: Im Politischen gab es keine Stunde Null, sondern es ging unter anderen Vorzeichen weiter, es begann die Restauration, es begann die Wiederaufrüstung. Und festgelegt war ich selber ja auch durch Erziehung, Umwelt, durch meine Eigenschaften, und festgelegt war ich vor allem durch meine materielle Situation. Ich war damals 1955, und 1957, als ich ein zweites Buch schrieb, "Florenz ohne Sonne", gedrängt und hatte Lust, diese Bücher zu schreiben, und dann bin ich - leider - zur Literaturkritik gekommen und zur Kirchenkritik. Meine Neigungen und meine Probleme lagen halt auf sehr verschiedenen Ebenen, und das hat sich entsprechend niedergeschlagen.

KONKRET: Ihre Kritik an den Kirchen und am Christentum ist radikal, stellt nicht nur die kirchlichen Strukturen in Frage, sondern auch die grundsätzlichen Setzungen der Religion. Gibt es für diese Radikalität auch eine subjektive, autobiographische Motivation?

Deschner: Das allein subjektiv zu motivieren würde der Sache nicht gerecht werden, da sie - wie ich glaube - objektiven Kriterien durchaus standhält. Ich wollte natürlich zunächst selber ganz frei werden, ohne jeden emotionalen Rest an diese Religion und an diese Institution, und ich bin das auch geworden, aber gleichzeitig wollte ich das, was ich im Laufe von Jahren immer genauer kennenlernte, auch anderen unterbreiten, von denen ich annehme, daß sie sich in analogen Situationen befinden. Das habe ich übrigens in tausenden von Leserzuschriften bestätigt bekommen. Daß das Christentum ethisch bankrott ist, davon kann sich heute jeder Zeitgenosse überzeugen - notfalls am Beispiel zweier Weltkriege, wenn seine Kenntnisse nicht weiter zurückreichen . Daß es aber auch dogmengeschichtlich überhaupt nicht auf tragbaren Fundamenten steht, das war mir als sehr junger Mann nicht bewußt, da mußte ich mich erst einer harten Arbeit unterziehen, einem fünfjährigen Studium der urchristlichen und frühchristlichen Quellen.

KONKRET: In der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts und auch noch in der Weimarer Republik war die radikale Kritik der Religion fest verankert- bei den Freidenkern und in den Arbeiterparteien fand sie organisatorischen Ausdruck. Heute ist sie nicht mehr mit politischen Forderungen verknüpft; sie bleibt die Anstrengung Einzelner. Warum gibt es kaum mehr eine organisierte Kritik an Christentum und Kirche?

Deschner: Leute, die meine Position und meinen antichristlichen Standpunkt aktiv einnehmen, sitzen zwischen allen Stühlen. Noch im 19. Jahrhundert war die Arbeiterbewegung stark antikirchlich, antichristlich, antireligiös eingestellt, zumindest zum großen Teil, und schon sehr früh haben die Menschen der unteren sozialen Klassen eine antichristliche Haltung eingenommen oder haben doch das Christentum benutzt, um gegen die herrschenden Kräfte zu polemisieren und zu kämpfen, wobei sie sehr deutlich den Zusammenhang zwischen ihren weltlichen und ihren geistlichen Ausbeutern erkannt hatten. Im 20. Jahrhundert hat sich da eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen: Marxisten und Sozialisten sind durchaus bereit, sich mit den Christen zu liieren, während die Christen bereit sind, linke Kräfte und Gruppen zu unterstützen. Diese Menschen kommen sich meist sehr progressiv vor und halten mich für einen Hinterwäldler oder Rückschrittler, aber bisher hat die Geschichte, insbesondere die kirchliche, gezeigt, daß bei solchen Bündnissen zwischen kirchlichen, also klerikalen, und weltlichen Gruppen immer die weltlichen den kürzeren gezogen haben. Natürlich ist die protestantische Theologie sehr viel liberaler und kritischer als die katholische. Schon seit seiner Entstehung war der Protestantismus kritischer; andererseits hat Luther sicher dazu beigetragen, das Christentum zu verfestigen, es wäre sonst vielleicht schon damals an sich selbst zugrunde gegangen. Es ist ein bezeichnendes Phänomen, daß die christlichen Theologen zu jedem geschichtlichen Zeitpunkt befleißigt waren, sich anzupassen, das war nämlich die Bedingung ihres Überlebens; alle großen und kleinen Reformationen hatten das Bestreben, den jeweils herrschenden Zeitgeist für das Christentum zu adaptieren. So gesehen sind die progressiven Theologen, die heute so große Förderung durch die Medien und durch die Presse erfahren, die schlimmsten, weil sie am gründlichsten dazu beitragen, das Christentum und vor allem die Institution Kirche am Leben zu erhalten. Es sind zwei Einwände, die ich immer wieder zu hören bekomme: Ob das, was ich tue, um der Kirche zu schaden, ihr nicht im Grunde auf Umwegen sogar nützlich wird. Ein bißchen Verfolgung, sagen die Katholiken, tut uns ganz gut. Vielleicht sollte man sie in aller Stille sang- und klanglos an sich selber zugrunde gehen lasse. Der zweite Einwand ist, daß die Problematik seit dem 18. Jahrhundert geistesgeschichtlich erledigt ist, daß das Christentum intellektuell mausetot ist, unabhängig davon, ob es noch in Millionen Köpfen herumspukt oder ob sich sogar Menschen ernsthaft bemühen, im christlichen Geist zu leben. Und es ist ein äußerst unbefriedigendes Gefühl, sich heute noch mit einer kirchengeschichtlichen Materie so ausgiebig zu beschäftigen, wie ich es getan habe. Aber die Vertreter des Christentums haben noch immer eine viel größere politische und wirtschaftliche Macht, als man normalerweise weiß. Macht ist das einzige Stichwort, mit dem sich die ganze Geschichte der kirchlichen Institution erklären läßt. Es ging nur um Macht, um nichts anderes als Macht, immer wieder um Macht, und darum geht es auch noch heute. Der Einfluß ist also unendlich größer als die geistige Bedeutung, und das ist für mich ein außerpersönliches Motiv, die Kirche und das Christentum in meinen Büchern anzugreifen.

KONKRET: Relativ isoliert arbeitend, von der Kirche totgeschwiegen oder diffamiert, drängt sich der Vergleich zu einem literarischen Don Quichote auf, der, schlecht gerüstet, verletzbar und ermüdend, gegen Windmühlenflügel ankämpft.

Deschner: Wenn ich mir diese Situation immer bewußt gemacht hätte, hätte ich vielleicht nie geschrieben. Aber ich sitze in meiner Dachkammer, lese die Quellen und die Sekundärliteratur und empöre mich im Stillen ungeheuer weiter, und die Empörung schlägt sich dann auch in meinen Büchern nieder, wird dokumentiert und plausibel gemacht, und ich denke, daß sie auch bei den Lesern meiner Bücher weiterwirkt und mehr oder weniger Konsequenzen hat. Die erfreulichste Konsequenz wäre der Kirchenaustritt; leider können sich viele meiner Leser zu einem solchen Schritt nicht entschließen, vor allem auch aus Angst vor einer beruflichen Beeinträchtigung . Ich bin jetzt dabei, mit meinem letzten kirchengeschichtlichen Werk "Kriminalgeschichte des Christentums" diese Thematik für mich endgültig zu beenden, obwohl es noch eine Fülle von Themen gäbe, denen man nachgehen könnte, die sich im Laufe eines Lebens aber immer noch vervielfältigen würden. Aber ich habe allmählich doch ein großes Unbehagen; mein Interesse an der Sprache erschöpft sich, und ich will nicht länger mit einer Thematik beschäftigt sein, als sie mich interessiert. Was mich all die Jahre motiviert hat, ist die Tatsache des übergroßen Einflusses der Kirchen und des Christentums. Das ist eine politische Auseinandersetzung.

KONKRET: Der Begriff, der sich bei Karlheinz Deschner aufdrängt, ist der der Radikalität. Beim Lesen: die radikale Kritik gegenüber literarischen Größen, Kirche und Religion; bei der Begegnung: die Art, in der er mit seiner Arbeit und mit sich selbst umgeht. In diesem Sinn - und nicht in jenem, in dem der Begriff in den innenpolitischen Auseinandersetzungen hierzulande benutzt wird: Ist Deschner ein Radikaler?

Deschner: In diesem Punkt hätte ich mir die heftigsten Vorwürfe zu machen, weil ich mich für viel zu wenig radikal halte. Wenn man die Zeitungen liest, wenn man die Politik verfolgt - unsere hier und die Weltpolitik - dann habe ich den Eindruck, daß man jeden Tag und jede Stunde auf die Barrikaden springen müßte, um etwas zu verändern. Ich tue das nicht, weil ich mir sagen kann, meine Aufgabe als Schriftsteller ist es eben nicht, auf die Barrikaden zu springen, sondern zu schreiben. Meine Beschäftigung mit der Geschichte und mit der Politik hat mich in meinen Gedanken - ich betone: in meinen Gedanken - immer radikaler gemacht. Aber ich habe das, auch das muß ich bekennen, weniger geäußert als in früheren Jahren. Teilweise hatte ich nicht die Gelegenheit dazu, weil in meinen geschichtlichen Arbeiten ja nicht meine eigene Meinung zur Diskussion stand, teilweise aber mag es auch damit zusammenhängen, daß wir heute in der Bundesrepublik und weithin in Europa gar nicht die Möglichkeit hätten, unsere Gedanken so radikal zu äußern, wie wir sie denken.

 

 

 

 

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