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Redebeitrag des langjährigen Lektors von Karlheinz Deschner, Hermann Gieselbusch


Lieber Karlheinz, hoch geschätzte Festversammlung:

 

Dein erstes Buch las ich als Erstsemester in Tübingen. Ein Kommilitone aus der Germanistik schwärmte mir davon etwas vor, borgte mir sein Exemplar, das ich auf einen einzigen Sitz verschlang und tagelang verdauen musste wie eine Anakonda, die sich einen Kaiman am Stück einverleibte. So hat mein Halbjahrhundert mit deinem Werk und seit April 1970 dann auch mit dir persönlich angefangen. Übrigens sagte mein erheblich älterer germanistischer Kommilitone damals zu mir: „Wer sowas schreibt, der lebt nicht lang.“ Der Autor von Die Nacht steht um mein Haus hätte ihm damals lebhaft zugestimmt, hat es ja auch in seinem Buch an vielen Stellen zum Ausdruck gebracht. Beide hatten zum Glück Unrecht. Der Germanist ist seit über zwanzig Jahren tot, und mit dir, lieber Karlheinz, feiern wir heute deinen achtzigsten Geburtstag.

Eigentlich wollte ich von hier aus auf die 34 Jahre zurückschauen, die wir gemeinsam an deiner Kriminalgeschichte des Christentums gearbeitet haben, wollte vorausschauen auf die fünf, sechs Jahre, in denen die letzten beiden Bände 9 und 10 entstehen. Aber das leisten in diesen Tagen schon andere.

Zum Beispiel Christian Gampert, der letzten Mittwoch im Deutschlandfunk eine halbe Stunde lang über dich, dein langes Leben und dein großes Werk sprach – nicht lobhudelnd, doch insgesamt rühmend. Gampert nannte dich einen „beharrlichen Moralisten“, womit er Recht hat. Ein paar Sekunden später bezeichnete er Karlheinz Deschner als „Zyniker“, womit er, finde ich, Unrecht hat. Ein weiteres Beispiel für die Auseinandersetzung mit Karlheinz Deschner hörte ich heute Morgen im Radio. In der täglich ausgestrahlten Sendereihe „Wir erinnern“ des DLF sprach Peter Hertel zu deinem 80. Geburtstag. Leider bediente Hertel wieder einmal die Klischeevorstellung von den angeblichen traumatischen Erlebnissen, die dich zum fanatischen Christenfresser gemacht hätten. „Mit zehn Jahren wollte er Priester werden“, hieß es da. Dann habest du in katholischen Internaten bei Dominikanern und Englischen Fräulein geschmachtet. Suggeriert wird, dass du vielleicht sogar zum Opfer sexuellen Missbrauchs durch Patres oder Fratres geworden seiest. Na, dann ist es ja leicht zu verstehen, dass du nach solchen schlimmen Erfahrungen mit Vertetern der Kirche dein Leben lang Krieg führst gegen die Kirche. Dass du Rache nimmst für erlittenes Unrecht seitens schwarzer Schafe.

Diese aus der Luft gegriffene Psychologisierung macht dich und deine kritische Aufkärungsarbeit leicht verdaulich. Es handelt sich um eine Rationalisierung, um Verleugnung, um Verdrängung, Entschärfung, Entgiftung, Entwertung. Du hast immer und immer wieder gesagt und geschrieben, dass du derartige Traumatisierungen von katholischer Seite nicht erlitten hast, dass die meisten Christen, denen du im Leben persönlich begegnet bist, gute Menschen waren und dass du rein intellektuell, nämlich durch Lektüre bestimmter Bücher zu deiner religionskritischen Überzeugung gekommen bist. Das ist für Gläubige natürlich sehr viel gefährlicher. Denn dann könnte ja das Studium bestimmter Bücher (auch Deschner-Bücher) jeden Gläubigen zum Skeptiker und Kritiker machen. Der selber durchaus kirchenkritische Hertel hat heute Morgen bei aller Gewogenheit doch wieder deine radikale kritische Aufklärungsarbeit in den Bereich der „Genießbarkeit“ hineingezogen und damit eingemeindet. Weil Peter Hertel, Christian Gampert und andere zur Zeit das Deuten, Werten und Rühmen bei Gelegenheit des heutigen Geburtstages übernehmen, will ich mich daran nun nicht auch noch beteiligen, denn ich möchte jetzt eine viel, viel spannendere Geschichte erzählen.

Gestern haben Milliarden Zuschauer in aller Welt die Märchenhochzeit in Madrid miterlebt. Die Braut trug nicht das jungfräulich reine Blütenweiß, sondern ein nur elfenbein- oder eierschalenweißes Seidenkleid. Warum? Nun, weil das symbolische Jungfernweiß bei Letizia Ortiz nicht mehr ganz schicklich gewesen wäre. Die ehemalige „TV-Königin“ war nämlich schon einmal verheiratet und hatte sich scheiden lassen. Eine geschieden Frau womöglich als echte Königin ausgerechnet auf dem spanischen Thron? Und die Kirche? Was sagt die dazu?

Die Kirche in Gestalt des Madrider Kardinals Varela gab der Ehe des Thronfolgers ihren Segen. Und wie verträgt sich das mit den strengen kanonischen Gesetzen? Es verträgt sich mit denen eindeutig nicht. Eigentlich nicht. Aber weil es sich um die herrschende Familie handelt, kann, ja muss man es so hinbiegen, das Gesetz so beugen, dass es passt. In diesem Falle traf es sich gut, dass Letizia ihre erste Ehe nur vor dem weltlichen Standesbeamten geschlossen hatte. Da fiel es den kirchlichen Beamten nicht schwer, diese Zivilehe flugs für nicht geschlossen zu erklären. Simsalabim oder besser Hokuspokus: Problem gelöst, Ehehindernis beseitigt. Oder noch besser: In diesem Fall an der Spitze des Staates gab es überhaupt kein Problem, kein Hindernis. Wie modern, wie lernfähig, wie tolerant, wie gütig die Kirche doch sein kann!

Sie kann aber auch anders. Das zeigt sich allerdings ein paar Stufen weiter unten auf der sozialen Pyramide. Die einschlägige Geschichte, die ich jetzt erzählen will, gehört als eines von unzähligen vielsagenden Exempeln auch zu Karlheinz Deschners Kriminalgeschichte des Christentums, und zwar zu seiner ganz persönlichen, fast intimen Geschichte.

Die Deutsche Presse-Agentur in Hamburg rief mich vor zwei Wochen an und wollte unter anderem wissen, wann genau Karlheinz Deschner aus der katholischen Kirche ausgetreten sei. Der dpa-Mann Rudolf Grimm brauchte diese Information für sein Deschner-Porträt zum Achtzigsten. Leider konnte ich ihm nicht sofort helfen, weil ich das Austrittsdatum nicht wusste. Aber aus dem hohlen Bauch tippte ich auf „Mitte der fünfziger Jahre“, wobei ich an bestimmte Passagen in Die Nacht steht um mein Haus dachte. Dr. Grimm wollte es aber ganz genau wissen. Also rief ich bei Karlheinz Deschner an und erfuhr: Sein Kirchenaustritt erfolgte am 19. 12. 1985. So spät? Warum?

Hatte er nicht den Sammelband Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin 1970 herausgegeben? Und war er trotzdem noch 15 Jahre länger Mitglied geblieben? Deschner und inkonsequent – das passte nun gar nicht zusammen. Also: Warum?

„Weil“, bekam ich von Karlheinz Deschner als Antwort, „weil ich doch schon 1951 von der Kirche exkommuniziert worden war und glaubte, damit sei ich nun raus aus dem Verein, brauchte also nicht eigens noch auszutreten. Es ist mir peinlich, dass ich damals nicht wusste - obwohl es doch auf der Hand liegt, der Begriff sagt es buchstäblich - , was ‚Exkommunikation’ bedeutet. Mir war das, ehrlich gesagt, auch vollkommen Wurscht. Kirchensteuer habe ich nicht gezahlt, gemahnt hat mich auch niemand. Meine Frau und unsere Kinder waren längst aus der katholischen Kirche ausgetreten, bis ich von einem Freund und Professor für Kanonisches Recht darüber aufgeklärt wurde, was ich natürlich längst, längst selber hätte wissen müssen: Exkommunikation bedeutet den strafweisen, zeitweiligen Ausschluss von Gottesdienst und Sakramenten, bedeutet aber nicht den Ausschluss aus der Kirche. So kam es zu meinem um 34 Jahre verspäteten Austritt.“ „Und warum wurdest du exkommuniziert?“, musste ich natürlich sofort fragen. “Warum 1951? Da hattest du doch noch kein einziges Buch, erst recht kein kirchenkritisches publiziert.“ Der Roman Die Nacht erschien ja erst fünf Jahre später. Antwort: „Wegen unserer Heirat. Elfi war doch geschieden. Wir schlossen 1951 auf dem Standesamt die Zivilehe und dachten keine Sekunde an eine kirchliche Trauung. Für die Kirche lebten wir in Sünde. Sie verlangte von uns Unterwerfung, wir sollten unsere Zivilehe rückgängig machen. Wenn nicht: Exkommunikation. So kam das.“

Diese für einen Nichtkatholiken exotisch klingende Geschichte erzählte ich sofort dem dpa-Redakteur Dr. Grimm. Der wollte sie mir auch glauben, konnte sie aber nicht in seinen Artikel hineinschreiben, weil sich in dem fast allwissenden Archiv der Deutschen Presse-Agentur beim Namen Deschner nicht die geringste Spur einer Exkommunikation finden ließ. Ohne ein beweiskräftiges Dokument könne die dpa aber eine solche Sache nicht als Tatsache verbreiten. Dr. Grimm hatte nämlich in der Zwischenzeit einen Experten angerufen, einen Professor emeritus der Kirchengeschichte von der Universität Bamberg. Der sagte, es sei so gut wie ausgeschlossen, dass Deschner exkommuniziert worden sei. So einfach gehe es dabei nämlich nicht zu. Der Vatikan habe da ein Wörtchen mitzureden. Und im Falle Deschner hätte man ja ganz sicher schon etwas davon gehört, wenn er tatsächlich exkommuniziert worden wäre. Rudolf Grimm war also voller Zweifel und schrieb in seinen dpa-Text vorsichtig hinein: „wurde nach eigenen Angaben 1951 exkommuniziert“.

Sofort rief ich wieder bei Karlheinz Deschner an und drang darauf, möglichst schnell die entsprechende Urkunde aufzuspüren. Mit Hilfe seiner Schwestern Hedwig und Lore ist das auch geglückt. Das kollektive Gedächtnis der drei Deschner-Geschwister erbrachte die schlimmen Folgen dieser angedrohten Ausstoßung aus der Gemeinde der Gläubigen. Totenblass und tief verstört sei ihre fromme Mutter, die vor ihrer Heirat ihrem evangelischen Glauben abgeschworen hatte und zum römisch-katholischen Glauben ihres geliebten Karl Deschner konvertiert war - blass, stumm und elend also war die Mutter vom Gottesdienst heimgekommen, weil in der Kirche der Priester die in Sünde lebenden Schäflein Karlheinz und Elfi namentlich angeprangert und mit Ausschluss bedroht hatte. Diese Prozedur wurde an drei Sonntagen nacheinander wiederholt. Was eine solche Voodoo-Praxis zu Beginn der fünfziger Jahre in einem fränkischen Dörfchen im Steigerwald bedeutete, kann man sich leicht ausmalen. Es war das christliche Pendant zur islamischen Scharia. Wie leicht wird unter bestimmten historischen Bedingungen daraus eine Steinigung oder Verbrennung! Die Religion der Nächstenliebe besteht darauf, zwei Liebende wieder auseinander zu reißen, „sonst seid ihr beide sozial isoliert, und das heißt: ihr seid erledigt“. Im autoritativen Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici* heißt es:

Der Kirchenbann (excommunicatio) ist die einstweilige Ausstoßung eines Kirchengliedes aus der Gemeinschaft der Gläubigen mit näher bestimmten Wirkungen, die gesetzlich festgelegt sind und nicht voneinander getrennt werden können. Der einstweilige Charakter des Kirchenbannes beruht darauf, daß der Bann seinem Wesen nach Beugestrafe ist; er kann daher nur auf unbestimmte Zeit ausgesprochen und muß nach Aufgabe der Verhärtung wieder aufgehoben werden. [...] Der Gebannte wird vereinsamt, damit er in sich gehe und seine Verhärtung aufgebe; zugleich wird die kirchliche Gemeinschaft vor der Gefahr verderblicher Ansteckung geschützt.“

Nachdem die „Oberhirtliche Mahnung“ und Strafandrohung die beiden Sünder nicht zur reuigen Umkehr hatten bewegen können, wurde am 11. Januar 1952 vom Bischöflichen Offizialat Würzburg dem katholischen Pfarramt Trossenfurt befohlen, die beiliegende „Oberhirtliche Strafsentenz“ des „Julius Dei Gratia Episcopus Herbipolensis“ „am Sonntag beim Pfarrgottesdienst von der Kanzel zu verlesen ohne jede weitere Bemerkung“.

Was sich die bekennend-katholische Mutter Deschner damals, am 20. Januar 1952, aus dem Munde des Priesters vor der versammelten Dorfgemeinde anhören musste, war keine Lesung aus dem Euangelium, sondern aus dem Dysangelium und klang folgendermaßen:

 

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Der Bischof von Würzburg

Oberhirtliche Strafsentenz

 

Zu Unserem großen Schmerz haben Wir erfahren, daß Frau Elfi Schreiter, Trossenfurt, nach bürgerlicher Scheidung ihrer Ehe eine bürgerliche Ehe mir H. Dr. phil. Karl Deschner geschlossen hat und diese vor Gott und dem Gewissen ungültige Verbindung zum öffentlichen Ärgernis der Gläubigen fortsetzt.

Entsprechend der kirchlichen Vorschrift haben Wir die Genannten durch ein eigenes Oberhirtliches Mahnwort aufgefordert, die sündhafte Verbindung aufzugeben, haben Ihnen auch kirchliche Strafen angedroht, sofern sie im Ungehorsam gegen das göttliche gesetz verharren.

Diese Mahnung und Strafandrohung blieben zu Unserem größten Schmerz seitens der Schuldigen fruchtlos und unbeachtet, sodaß Wir Uns genötigt sehen, zur Sühne für das gegebene Ärgernis und zur Rettung ihrer Seelen die angedrohten kirchlichen Strafen über sie zu verhängen. In Kraft Unserer Oberhirtlichen Vollmacht und Gewalt erklären Wir hiermit die Genannten, Frau Elfi Schreiter, H. Dr. Karl Deschner, der kirchlichen Strafe nach can.2356 des kirchlichen Gesetzbuches verfallen. Sie sollen von heute an ausgeschlossen sein vom Empfang der hl. Sakramente der Kirche und überdies des kirchlichen Begräbnisses verlustig werden, sofern sie in ihrer unbüßfertigen Gesinnung bis zum Tode verharren.

Wir hoffen aber, dass die Fehlenden durch die nach dem Gesetze der hl. Kirche verhängtenb Strafen zur Einsicht kommen und beten zu Gott, daß er ihnen bald wieder die Gnade der Rückkehr zum Gehorsam gegen die hl. Kirche gewähre,

Würzburg, den 11.1.52

+ Julius

Bischof von Würzburg

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Professor Denzler aus Bamberg hatte also Unrecht. Dem verketzerten Deschner hat er wohl so eine wunderschöne christkatholische Exkommunikation einfach nicht gegönnt.

Nicht untypisch für den so akribisch arbeitenden Autor Deschner rief dieser am vergangenen Montag, als es eigentlich schon viel zu spät war, bei der dpa in Hamburg an und brachte den Dr. Grimm dazu, in letzter Sekunde die absichernde Formel „nach eigenen Angaben“ zu streichen. Und als Rudolf Grimm ihm auch noch den Schluss seines Geburtstags-Artikels vorlas, wo er geschrieben hatte: Deschner arbeite weiter an seiner Kriminalgeschichte bei „relativ guter Gesundheit“, da bat ihn Karlheinz um noch eine allerletzte kleine Korrektur: „Bitte streichen Sie das ‚relativ’.“

Dazu kann ich dir nur herzlich Glück wünschen. Wenn ich dich heute, am letzten Tag deines achtzigjährigen Lebens, anschaue, dann wünsche ich mir, wünsche ich allen Menschen guten Willens genau so und in der guten Form relativ alt zu werden wie du.

Dein berühmter Kunst- und Zunftbruder, der Bestsellerautor Johannes Paul II., ist vor einer Woche 84 geworden. Die seit Jahrtausenden bewährte Propagandamaschine des Vatikans hat dafür gesorgt, dass pünktlich am 18. Mai 2004 die Lebenserinnerungen des Heiligen Vaters weltweit in den Buchhandlungen auslagen. Seine „Erinnerungen und Gedanken“ (so der von Bismarck seitenverkehrt abgekupferte Untertitel) werden in Millionen Exemplaren unters Kirchenvolk kommen. Daneben wirken einige hunderttausend Bände, die inzwischen von deiner Kriminalgeschichte des Christentums verkauft wurden, recht bescheiden. Der Titel der Papst-Memoiren klingt übrigens gut, enthält er doch vielleicht die versteckte Ankündigung seines Abschieds von der Macht. Der Titel lautet: Auf, lasst uns gehen!


 

80. Geburtstag

Redebeitrag
Hermann Gieselbusch

 

 

 

 

     
           
 

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