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Fränkischer Tag 23.5.04

 

Spitze Feder – die Wahrheit tut weh!
Der Schriftsteller Karlheinz Deschner wird 80, und er provoziert wie eh und je – Im Gespräch mit dem FT

„Ach, da schau‘ ich ja ganz freundlich drein. Wie haben Sie denn das geschafft?“ Karlheinz Deschner, der leicht befremdet das Foto auf der Digitalkamera betrachtet, lacht selten. Weswegen man ihn keineswegs als humorlos einstufen sollte. Deschner passt einfach in kein Klischee.
Weder in das des verstaubten Historikers, noch in das des vergeistigten Schriftstellers, noch in das des ewigen Nörglers, des Besserwissers, des Provokateurs, des Pessimisten, schon gar nicht des Optimisten oder des Leichtfertigen. Wahrscheinlich hat ihm das akribische Nachforschen über die Handlungen der Mächtigen und Ohnmächtigen in der Menschheitsgeschichte in mehr als 50 Jahren ins Unterbewusstsein eingeprägt, dass es eigentlich nichts zu lachen gibt auf dieser Welt.
„Der Mensch – ein Fehlschlag der Natur?“ Vielleicht, so fragt der Sohn eines Försters aus dem Steigerwalddorf Tretzendorf, hat der Biologe Theo Löbsack recht. Man denke nur an die hemmungslose, globale Vermehrung der Menschheit, Versechsfachung auf sechs Milliarden in nur einhundert Jahren von mehreren Tausend.

„Alles Unglück kommt von der großen Zahl“, so zitiert Deschner Hans Henny Jahnn, einen überragenden deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, den er Mitte der 50er Jahre kennen lernte und der 1959 verstorben ist. Und es klingt apokalyptisch, wenn der Historiker auf die Frage, was kommen wird, antwortet: „Krieg. Revolutionen kann man nicht brauchen. Die Menschheit wird sich selbst massakrieren. Aber es wird mehr kaputt gehen, als man vorhat.“

Die Geschichte, so weiß Deschner, habe sich im wesentlichen nicht geändert. Nur die Personen und die Umstände. Dem Schlagwort von der „sich nie wiederholenden Geschichte“ widerspricht er. „Sie wiederholt sich unaufhörlich. Eine kleine Schicht hat alles, die große Masse wird ans Messer geliefert.“ Macht – das ist das Zauberwort, „Macht und nochmals Macht“.
Heute würden schon 300 bis 400 Leute dieser Erde so viel besitzen wie die halbe Menschheit zusammen – „damit ist fast alles über unsere Gesellschaft gesagt. Für Ungezählte eine permanente Katastrophe.“ Die Mittelschicht falle nach und nach unter die Armutsgrenze, was wiederum die Macht der Wenigen verstärke.

Deschner sagt: „Es gibt nicht immer nur Wachstum. Die Industrie hat immer weniger Arbeit zu verteilen – zu Beginn der Industrialisierung haben Arbeiter auch schon mal ihre Maschinen zertrümmert –, die Leute verdienen weniger, viele gar nichts. Wer soll da noch die Produkte kaufen?“.

Sind die Anstrengungen nach mehr Bildung der richtige Weg? „Das ist die Bildungslüge“, sagt Deschner. „Ich stimme dem Pädagogen Blankertz zu, nach dem es bei uns immer nur so viele Gebildete gab, wie es ökonomisch notwendig war. Wie die Geschichte lehrt, hat keine Regierung ein besonderes Interesse an besonders gebildeten Bürgern gehabt.“

Auf hohlen Köpfen ist gut trommeln, hat Deschner einmal geschrieben. Sollte das heute anders sein? „Ich habe meine Zweifel“, sagt Deschner und erinnert „an die ungeheuer wachsende Zahl arbeitsloser Akademiker, die doch immer eine latente Gefahr für die Herrschenden sind.“

„Wenn man, wie ich, sich ein halbes Jahrhundert mit Geschichte befasst hat, kann man nur entsetzt sein“, kommentiert er den allgemeinen Werteverfall, den es immer wieder gegeben habe. Auch der eigenen Berufssparte, den Historikern, schanzt er eine „verheerende Rolle“ zu. Historische Berichte in all den Jahrhunderten seien fast immer im Sinne der Herrschenden geschrieben worden. „Die meisten Historiker“, sagt er, „breiten den Dreck der Vergangenheit aus, als wäre er der Humus für künftige Paradiese.“

Und heute? „Das Schlimme ist, man gewöhnt sich ans Verbrechen“, meint Deschner. Denn eigentlich müsste man bei den täglich unzähligen Katastrophenmeldungen in tiefe Depression verfallen ...

Die USA hat der Schriftsteller in seinem Buch „Der Moloch“ (1992) demaskiert, ihre Rolle als ‚Bösewicht‘ seit 100 Jahren, ja seit ihrer Gründung aufgezeigt. „Die Amerikaner“, stellt er fest, „sind selten kriegswillig. Sie werden dazu gemacht.“ Mit Lügen, wie beim Irak-Krieg. Und selbst Pearl Harbor habe Roosevelt in Kauf genommen, um den Kriegseintritt gegen Japan rechtfertigen zu können.

Amerika verkaufe an alle Welt Kriegsmaterial. Und „hat sich dann die halbe Welt kaputt gekriegt, siehe Erster, siehe Zweiter Weltkrieg, kommt es als Befreier, in Wahrheit als der eigentliche Kriegsgewinnler.“ Selbst die Russische Revolution, selbst Mussolini, selbst Hitler hätten große Banken der USA mitfinanziert. Hitler noch 1933 mit einer Milliarde Dollar. Deschner: „Die Meldung stand 1933 zweimal in der New York Times. Inzwischen ist sie aus allen Archiven verschwunden, selbst aus Mikrofilmen rausgeschnitten worden.“
Auch Deutschland habe während des ganzen Ersten Weltkriegs „Rüstungsgüter“ in Massen an Frankreich geliefert, mit denen dann die eigenen Landser erschossen wurden. Das ist „das unbarmherzige, dreckige Spiel der Mächtigen“, so Deschners Fazit.

Und die Kirche? Kann sie Hoffnung oder wenigstens Trost spenden? „Die Kirche ist beinah' immer mit den Mächtigsten ins Bett gegangen“, urteilt Deschner gnadenlos, „nur dadurch hat sie überlebt.“ Dabei sei das Christentum theoretisch die freundlichere Religion im Vergleich zum Islam, der die Verkündigung mit „Feuer und Schwert“ verlange.

Dem gegenüber sei die Heuchelei des Christentums größer und der Islam in der Praxis nicht selten humaner gewesen (Im Bauernkrieg kursierte der Slogan: „Lieber türkisch als päpstlich!“). Deschner empfindet es als falsch und gefährlich, alle Terroristen als „islamisch“ zu bezeichnen und damit zugleich abzulenken von den tiefen sozioökonomischen Ursachen weltweit.

Lokales Geschehen, Lokalpolitik interessiert ihn kaum. Dazu hat er weder Zeit noch Lust. Und zum Wählen geht Deschner schon seit 25 Jahren nicht mehr: „Ich will nicht irgendeiner Politik das Wort reden, zumal letztlich alles aufs Gleiche hinausläuft. Politik ist die Kunst, für viele möglichst wenig und für wenige möglichst viel zu tun. Demokratie ist die Kunst, dem Volk im Namen des Volkes feierlich das Fell über die Ohren zu ziehen.“

Provokante Sätze eines Achtzigjährigen. Gehört man da nicht als so genannter Intellektueller schon zu den „Weisen“? „Ich misstraue diesem Typus“, sagt Deschner, „diesen Anpassern und Kompromisslern.“
Nein, dieser Schriftsteller passt in kein Klischee. Ein politischer Mensch ist Deschner nur im Denken. „Demonstrieren, so gut auch immer, ist meine Sache nicht“, erklärt er. Er demonstriert am Schreibtisch. Auf der Straße, bei Demos, war er in seinem Leben zweimal, und das unfreiwillig: „Einmal wegen einer Freundin und ein andermal durch puren Zufall.“

In seinem Haus, wo die Wände aus lauter Büchern bestehen, huschen vier Katzen durch die Räume, und ein kleiner Hund bellt freudig zur Begrüßung, ehe er sich zufrieden im Polster kringeln darf. Der Tierfreund Deschner – noch eine Facette des berühmten Schriftstellers? „Ja, ich habe zu denen ein Verhältnis wie zu Menschen“, bekennt er. „Und wer mit Tieren zusammen lebt, versteht das auch. Eine Gesellschaft aber, die Schlachthäuser und Schlachtfelder verkraftet, ist selber schlachtreif.“

Bleibt bei Karlheinz Deschner das Positive gänzlich auf der Strecke? Hat das Leben überhaupt keinen Sinn? „Ob das Ganze einen Sinn hat“, meint der radikale Agnostiker (einer, der das übersinnliche Sein für unerkennbar hält), „wissen wir nicht. Aber wir können versuchen, ihm einen Sinn zu geben. ‚Die Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen‘ lautet der Titel eines wichtigen Buches von Theodor Lessing.“

Seit Jahrzehnten wohnt Karlheinz Deschner in einer Allerweltssiedlung, in der Friedenstraße in Haßfurt – nomen est omen? „Nein, ich habe das Häuschen von meinen Eltern geerbt, die es in der 30er Jahren erbauten. Ich hätte nie gedacht, hier so viel Zeit zu verbringen“, meint der Autor, der sich aber „in der herrlichen Umgebung zu Hause“ fühlt.

Über seine fränkische Heimat hat Deschner wahre Liebeserklärungen geschrieben: „Dornröschenträume und Stallgeruch“ (1989) wurde soeben neu aufgelegt. Oder jüngst ein Vorwort zum Kunstführer des Landkreises Haßberge, dessen Schönstes, die Landschaft – „der Schoß gleichsam, in dem alles da ruht“ – , im Schlusssatz dieses Essays leuchtet: „...einsam ..., kaum Menschen mehr, fast als sollte man sie und allen Menschenlärm vergessen und alle Menschenwichtigtuerei.“

Jochen Bopp


 

 

 

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