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Bayerischer Rundfunk, 23.5.04
Zum 80. Geburtstag von Dr. Karlheinz Deschner
Rundfunkbeitrag des Bundes für Geistesfreiheit Bayern
Verehrte Hörerinnen und Hörer,
das Jahr 2004 ist ein ausgesprochenes Jubiläumsjahr für Religionskritiker,
Aufklärer und Kirchenkritiker. Der bedeutendste Vertreter des 19.
Jahrhunderts ist der Philosoph Ludwig Feuerbach, der im Juli vor 200 Jahren
in Landshut geboren wurde und 1872 in einem Ort nahe Erlangen starb. Mit
ihm wird sich unsere nächste Rundfunksendung befassen. Bereits im
Januar jährte sich der 275. Geburtstag von Gotthold Ephraim Lessing,
der uns meist nur als Schriftsteller und Dichter näher gebracht wird,
der aber in Deutschland auch die Abkehr vom dogmengebundenen Religionsverständnis
einläutete und uns die Werte der französischen Aufklärung
vermittelte. Fast wäre auch noch der Geburtstag des wichtigsten deutschsprachigen
Religionskritikers des 17. Jahrhunderts hinzuzurechnen, doch der 350.
Geburtstag des weithin unterschätzten Frühaufklärers Christian
Thomasius fällt auf den 1. Januar 2005.
Alle drei Wegbereiter freien Denkens, die wichtigsten deutschsprachigen
Repräsentanten ihres jeweiligen Jahrhunderts, haben eines gemeinsam:
Sie begannen als Theologen, setzten sich intensiv mit Religion und speziell
mit dem Christentum auseinander, analysierten beides eingehend –
und distanzierten sich schließlich davon aus tiefster Überzeugung
und genauester Kenntnis und Erkenntnis. Das gleiche gilt auch für
den bedeutendsten Kirchenkritiker deutscher Zunge im 20. Jahrhundert:
Dr. Karlheinz Deschner. Genau heute, am 23. Mai 2004, feiert er im fränkischen
Haßfurt seinen 80. Geburtstag. Inzwischen ist er einem weltanschaulich
interessierten Millionenpublikum bekannt, wird aber immer noch von vielen
kirchenhörigen Medien totgeschwiegen. Denn meistens wagten die Vertreter
der Amtskirche nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihm, weil
er als Kirchenhistoriker ein unglaublich fundiertes Wissen hat. Seine
schärfste Waffe sind immer noch die Fakten, die selbst viele Geistliche
und Theologen zu einer kritischeren Sicht der Kirchengeschichte veranlasst
haben.
Karlheinz Deschner zog es, anders als Lessing und Feuerbach, nicht zur
Theologie hin. Aber der Katholizismus wurde ihm schon als Kind eingebläut.
Geboren in der Bischofsstadt Bamberg, wuchs er in eher einfachen Verhältnissen
auf. Sein Vater war überzeugter Katholik, seine Mutter konvertierte
sogar vom Protestantismus zur Konfession des Vaters, und der Sohn besuchte
nach der Grundschule vier Jahre lang das Franziskanerseminar Dettelbach
am Main, wo er zunächst bei einem Geistlichen Rat und dann im Franziskanerkloster
lebte. Von 1934 bis 1942 besuchte er in Bamberg das Gymnasium, wobei er
Internatsschüler zunächst bei den Karmelitern, dann bei den
Englischen Fräulein war. Er lernte also den Katholizismus von innen
kennen, aber nicht schätzen. Nach dem Abitur im März 1942 veranlasste
ihn nicht zuletzt die Propaganda des Klerus, sich – wie übrigens
die gesamte Klasse – als Kriegsfreiwilliger zu melden und sich für
das Vaterland zu opfern.
Später wurde er überzeugter Pazifist, was schon deutlich die
Distanz zu jenen erkennen lässt, die ihn zum Kriegsdienst verführt
haben. Überhaupt sollte sich vor allem die katholische Kirche einmal
Gedanken machen, woher es kommt, dass so viele unter ihren Kritikern und
Gegnern vormals eine streng katholische Erziehung erlitten haben. Zwar
treten heute immer noch etwas mehr Menschen aus der evangelischen Kirche
aus, aber kaum jemand tut das, weil er etwas gegen sie hätte, sondern
nur, weil er nichts oder nicht genügend für sie hat, um dafür
Zehntausende von Euro an Kirchensteuern zu opfern. (Ausnahmen gibt es
nur in den streng pietistischen oder evangelikalen Kreisen, deren Erziehung
nicht wenige Kinder später als einengend, entmündigend und bedrückend
empfinden.) In katholischen Kreisen hingegen staut sich weit häufiger
eine tiefe Abneigung gegen Kirche und Religion auf. Religiöse Eltern
oder Lehrer, die glauben, sie täten ihrer Kirche etwas Gutes, wenn
sie Kindern ihren Glauben unter mehr oder weniger sanftem Zwang aufdrängen,
erleben oft das Gegenteil. Auch in den letzten Jahren erlebte ich immer
wieder Fälle mit, in denen bigotte Schulleiter oder besonders fromme
Lehrer meinten, das Anbringen eines Kreuzes im Klassenzimmer oder das
Sprechen eines Gebetes zu Unterrichtsbeginn auch gegen den Willen von
Schülern durchsetzen zu müssen. Meist wagen es diese nicht,
dagegen offen zu protestieren, selbst wenn sie das Recht dazu hätten.
Aber manche revanchieren sich dann unmittelbar nach Ende ihrer Schullaufbahn,
indem sie aus der Kirche austreten. Das kann ihnen dann nämlich kein
Lehrer und kein Elternteil mehr verbieten. Und auch an den Bund für
Geistesfreiheit wenden sich nicht wenige Betroffene mit der Bitte um Rat
und Hilfe, die der bfg dann auch prompt gewährt. Insofern bedankt
sich der Bund für Geistesfreiheit bei dieser Gelegenheit einmal ganz
herzlich bei all jenen frommen und klerikalen Eiferern, die ungewollt
für einen beachtlichen Mitgliederzuwachs beim Bund für Geistesfreiheit
sorgen.
Dieser kleine Exkurs hat mit Dr. Karlheinz Deschner mehr zu tun, als man
meint. Auch er befasste sich mit Religion, weil er deren negative Seiten
in seiner Jugend hautnah erlebte und später feststellte, dass man
auch ohne Religion sein Leben gut meistern kann, wenn man es erst einmal
geschafft hat, sich von der Einseitigkeit des eingetrichterten Weltbildes
zu befreien und eine unabhängigere Sicht zu gewinnen, von der aus
andere Weltanschauungen unvoreingenommen geprüft werden können.
Um dies zu erreichen, hörte Deschner in der Nachkriegszeit zunächst
in Bamberg philosophische und theologische Vorlesungen und begann dann
in Würzburg mit dem Studium der Fächer Neuere Deutsche Literaturwissenschaft,
Philosophie und Geschichte. 1951 promovierte er mit einer Arbeit über
„Lenaus Lyrik als Ausdruck metaphysischer Verzweiflung“. In
der Folge arbeitete er zunächst als Romanschriftsteller und Literaturkritiker.
Am bekanntesten wurde aus dieser Zeit seine Streitschrift „Kitsch,
Konvention und Kunst“, die bis heute gern zitiert wird. Er schrieb
auch zahlreiche Essays und Aphorismen, und nicht zuletzt die Landschaftsschilderungen
seiner fränkischen Heimat trugen ihm Achtung auch bei jenen ein,
die seine weltanschauliche Haltung nicht teilten. Deschner definierte
sich übrigens in einem seiner Bücher nicht als Atheist, sondern
als Agnostiker.
Den Durchbruch aber schaffte er mit einem Werk, das noch heute zu den
Klassikern des 20. Jahrhunderts gehört, nämlich mit dem kirchenhistorischen
Standardwerk „Abermals krähte der Hahn. Eine Demaskierung des
Christentums von den Evangelisten bis zu den Faschisten“. Dieses
1962 erschienene 700 Seiten starke Buch schlug ein wie eine Bombe, denn
Deschner hatte über 1000 Quellentexte studiert, vorwiegend christliche
Theologen, von denen viele sehr wohl wussten, dass viele der biblischen
Aussagen oder der späteren Überlieferungen nicht stichhaltig
waren und dass wesentliche Teile der christlichen Lehre einfach übernommen
wurden von früheren oder zur gleichen Zeit konkurrierenden Religionen.
Das alles wussten aufgeklärtere Theologen längst, aber sie wagten
es nicht, dies einem breiten Publikum zu präsentieren und gleichzeitig
die Frage nach der Stichhaltigkeit des kirchlich gelehrten Christentums
zu stellen. Aber Dr. Karlheinz Deschner machte sich die Mühe einer
jahrelangen Recherche und Quellenforschung unter Verzicht auf eine Hochschulkarriere,
und er wagte es, die Tabu-Fragen öffentlich zu stellen.
Ein Beispiel für viele andere sei hier genannt: Bereits vor Jesus
gab es etwa ein Dutzend verschiedenster Götter, die früh starben
und dann nach drei Tagen oder am dritten Tage wieder auferstanden. (In
Klammern: Man beachte diese unterschiedliche Zeitangabe, die sich auch
in den Evangelien findet. „Nach drei Tagen“ heißt „am
vierten Tage“, während „am dritten Tage“ so viel
bedeutet wie „nach zwei Tagen“. Auch die Evangelien weichen
hier um einen Tag voneinander ab. Aber das ist nur ein typisches Detail.
Viel wichtiger ist die Tatsache, dass der ganze Auferstehungsmythos offensichtlich
eine Kopie anderer Religionen ist. Auffallend sind zum Beispiel die Ähnlichkeiten
zwischen dem christlichen Kultobjekt und dem babylonischen Gott Bel-Marduk,
der gleichfalls als vom Vater gesandter Erlöser, als Weltschöpfer
und als der gute Hirte galt. Auch Bel-Marduk wurde gefangengenommen, verhört,
zum Tod verurteilt, gegeißelt und mit einem Verbrecher hingerichtet,
während man einen anderen freiließ. Eine Frau wischte das Herzblut
des Gottes ab, das aus einer Speerwunde hervorquoll, und noch manch andere
Parallele ist festzustellen.
Offenbar hielt selbst der Kirchenvater Origenes die Auferstehung für
einen von Vorbildern übernommenen Mythos, denn er meinte: „Dies
Wunder bringt den Heiden nichts Neues und kann ihnen nicht anstößig
sein.“ Jedem logisch denkenden Menschen wird bei Kenntnis solcher
Zusammenhänge klar, dass die Auferstehung allenfalls als symbolträchtige
Geschichte, nicht aber als historische Tatsache betrachtet werden kann.
Dies hätte freilich zur Folge, dass auch Jesus nur ein Mensch war,
der sich genauso irren konnte wie jeder andere und der dann sogar im Vergleich
zu Angehörigen späterer Generationen recht unwissend war. Warum
dann allerdings seinen Worten – so sie denn tatsächlich von
ihm stammen sollten – besondere Bedeutung oder geradezu unfehlbare
Richtigkeit zugesprochen werden sollen, ist nicht mehr einsichtig.
Letztlich besteht der Tabubruch schon darin, dass Deschner die Erkenntnisse
kritischer und aufgeklärter Theologen zusammenfasste, systematisierte
und der Öffentlichkeit präsentierte. Damit war die Voraussetzung
geschaffen, dass die Leser selbst nachdenken und ihre Schlüsse ziehen
konnten, was zwangsläufig zu vielen Kirchenaustritten führte.
Obwohl die Rechte an dem Buch mehrfach von kirchennahen Verlagen aufgekauft
wurden, um eine Neuauflage wenigstens zeitweise zu verhindern, entwickelte
sich „Abermals krähte der Hahn“ zu einem in mehrere Sprachen
übersetzten Bestseller mit einer Gesamtauflage von über einer
Million Exemplaren.
Später schrieb Deschner noch eine Reihe kirchenhistorischer Bücher,
z.B. über die Rolle der Kirchen im Faschismus. Seit 1984 arbeitet
er an einem Mammutwerk, das man als Präzisierung und Erweiterung
seines Bestsellers betrachten kann, nämlich einer bei Rowohlt erscheinenden
„Kriminalgeschichte des Christentums“, die ursprünglich
auf zehn Bände angelegt war, von denen alle zwei Jahre einer erscheinen
sollte. Zum 80. Geburtstag wollte der Autor fertig sein. Aber nun ist
gerade der achte Band erschienen und es ist absehbar, dass der Gesamtumfang
mindestens zwölf Bände umfassen wird.
Belohnt werden Menschen wie Dr. Karlheinz Deschner, die ihr Leben letztlich
für eine in die Zukunft wirkende Idee opfern, zu Lebzeiten nur selten.
Die eingangs zitierten Dichter und Denker Lessing und Thomasius konnten
sich vor 200 bis 300 Jahren beruflich und existentiell nur mit Mühe
halten, und auch das nur, weil sie ihre Religionskritik meist verschlüsselt
und indirekt vorbrachten.
Der geniale Ludwig Feuerbach verlor wegen seiner offenen Religionskritik
die Professorenstelle, und auch Dr. Karlheinz Deschner kostete sein antiklerikales
Wirken eine vielversprechende Hochschullaufbahn. Dennoch hat er inzwischen
weithin die Hochachtung gefunden, die ihm gebührt. Die wichtigste
Form der Wertschätzung ist die Anerkennung seiner Einzigartigkeit
und Unvergleichlichkeit. Wenn er seine „Kriminalgeschichte des Christentums“
nicht vollendet, wird es kein anderer mehr in annähernd gleicher
Weise tun können. Auch deshalb wünscht ihm der Bund für
Geistesfreiheit noch viele Jahre der Gesundheit und des Wohlergehens.
Noch ein Hinweis zum Abschluss: Die Ansprachen des Bundes für Geistesfreiheit
können Sie gegen Erstattung des Portos erhalten bei: bfg Bayern,
Postfach, 90730 Fürth. Im Internet sind wir erreichbar unter der
Adresse: www.bfg-bayern.de.
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