Stimmung statt Argumente…
Offener Brief an die konkret-Redaktion
Bezug: Die gegenwärtige
linke Diskussionskultur im Allgemeinen und die an Rufmordmord grenzenden
Äußerungen zu Karlheinz Deschner (konkret 2/05
und 3/05) im Speziellen
Mit Sorge beobachten wir, dass im Diskurs der deutschen
Linken und auch in konkret-Debatten immer wieder irrationale
Diskussionsmuster auftauchen, die ansonsten bevorzugt im gegnerischen
politischen Lager gepflegt werden. Statt differenzierter Analysen
herrschen unzulässige Generalisierungen vor, an die Stelle
einer vorurteilsfreien Abwägung von Argumenten ist das Schüren
diffuser Stimmungen getreten. Das Niveau linker Debatten ist mittlerweile
so unterirdisch, dass bereits der banale Hinweis, dass nicht jede
Form der Amerikakritik von antisemitischem, deutschtümelnden
Ressentiments bestimmt ist und auch nicht jedes Eintreten
für Tierrechte für einen Mangel an humanistischer Gesinnung
spricht, als Tabubruch erscheinen muss. Wer heute formuliert, dass
eine radikale aufklärerische Kritik der amerikanischen Innen-
und Außenpolitik weiterhin unerlässlich ist, muss damit
rechnen, dass er von selbsternannten Schiedsrichtern des linken
Diskurses wegen groben Foulspiels (Antisemitismusverdacht) umgehend
vom Platz gestellt wird. Arme Linke! *
Im Kontext der gegenwärtigen linken Diskussionsunkultur
ist der Umgang von konkret mit ihrem ehemaligen Vorzeigeautor
Karlheinz Deschner bezeichnend. Dass Deschners Arbeiten insbesondere
zur Amerikakritik sowie zur Tierethik diskussionswürdig sind,
wird niemand bestreiten – auch Deschner nicht, der niemals
den Versuch unternommen hat, sich mit Unfehlbarkeitsansprüchen
gegen Kritik zu immunisieren („Denken heißt in Zweifeln
sterben“). So wichtig und richtig Kritik (auch am Werk Deschners)
ist, die jüngsten Versuche, Karlheinz Deschner – immerhin
seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen
Aufklärung! – an den rechten politischen Rand drängen
zu wollen (Christoph Horst in konkret 2/05, schlimmer noch:
die Leserbriefschreiber in konkret 3/05), zeugen davon,
dass das Phänomen der ideologischen Wahrnehmungsverzerrung
in bestimmten linken Kreisen mittlerweile höchst bedenkliche
Formen angenommen hat.
Jede Zeitschrift hat die Leser, die sie verdient.
Betrachtet man die kaum mehr zu unterbietende Qualität der
aktuellen Leserzuschriften zu Horsts an Rufmord grenzenden Deschner-Artikel,
könnte einem angst und bange werden um die Zukunft von konkret.
Allem Anschein nach hat das Magazin in den letzten Jahren eine Leserschaft
angezogen, die zumindest in Teilen dazu neigt, auf Basis primitivster
Stammhirnreflexe „antifaschistische“ Verleumdungskampagnen
zu veranstalten. Ein gutes Beispiel für derartige Kurzschlussreaktionen
ist der Leserbrief des „Fürther Antifaschisten“
Marco Kuhn, der die Herausgeber des Deschner-Sonderhefts, Georg
Batz und die Gesellschaft für die kritische Philosophie, absurderweise
ins „rechte Licht“ rückt, was er u.a. damit „beweist“,
dass Arthur Vogt und Hans-Ulrich Kopp zu Seminaren nach Nürnberg
eingeladen wurden.
Was Kuhn verschweigt oder möglicherweise nicht
gründlich genug recherchiert hat (nicht minder schlimm!), ist,
dass bei den von Batz verantworteten, stets extrem heterogen angelegten
Seminaren u.a. auch Egon Krenz oder der konkret-Autor Wolfgang
Wippermann („Roter Holocaust“? Kritik des Schwarzbuch
des Kommunismus; Konkret-Literaturverlag) beteiligt waren.
Abgesehen davon: Selbst wenn sich Batz oder die Gesellschaft für
kritische Philosophie am rechten Rand der Gesellschaft bewegen würden
(was definitiv grober Unsinn ist!!), würde das – anders
als Kuhn andeutet – über das Werk Karlheinz Deschners
nichts aussagen! Die Vorstellung, dass Person X die politische Gesinnung
Y besitzt, nur weil Personen mit Gesinnung Y einen Sammelband zu
X herausgegeben oder diesen zu einem Vortrag eingeladen haben, ist
logisch grob fehlerhaft. Dass solche hysterischen Verschwörungsargumente
in manchen linken Kreisen weit verbreitet sind, zeigt, wie notwendig
eine ideologiekritische Aufarbeitung linker Diskussionskultur wäre.
Noch abenteuerlicher als die intellektuelle Entgleisung
Kuhns ist der Kommentar des Leserbriefschreibers Markus Grafenberg,
der meint, man brauche Deschner überhaupt nicht verteidigen,
da dieser der „Häuptling aller deutschen Heiden“
sei. Wer Derartiges über den aufklärerischen Streitschriftsteller
Karlheinz Deschner schreibt, hat wohl kein einziges Buch dieses
zutiefst humanistischen und antinationalistischen Autors im Original
gelesen („Kriminalgeschichte des Christentums“; „Die
Politik der Päpste im 20. Jahrhundert“ etc.). Wenn doch,
sollte er sich ernsthaft auf seinen Geisteszustand hin untersuchen
lassen! Es ist uns ein Rätsel, was die konkret-Redaktion
dazu brachte, diesen grotesken Unsinn unkommentiert abzudrucken.
War es bloße Unachtsamkeit oder steckt doch mehr dahinter?
Wir würden es sehr begrüßen, wenn
die konkret-Redaktion die Reaktionen ihrer offensichtlich
im Dunkeln tappenden Leser zum Anlass nehmen würde, den eigenen
Kurs zu überdenken. Bedauerlicherweise kann man sich momentan
in der Linken nur zwischen Pest und Cholera, zwischen notorischen
„Antiimperialisten“ und „Antideutschen“,
entscheiden. Würde konkret den Irrationalismus und
Dogmatismus beider Deutungsmuster konsequent aufdecken,
könnte das Magazin einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung
der Diskursfähigkeit innerhalb der linken Szene leisten.
Sicherlich: Angesichts der festgefahrenen, sich selbst
gegen Kritik immunisierenden Positionen im linken Spektrum wird
das nicht einfach sein. Aber – um es einmal in Anlehnung an
Ernst Bloch zu formulieren (den irgendein neumalkluger „Antifaschist“
gewiss auch schon als „Deutschtümler“ entlarvt
hat): „Wir haben nicht das Recht, Pessimisten zu sein….“
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Schmidt-Salomon
im Namen der Giordano Bruno Stiftung und der Redaktion
von www.deschner.info (offizielle Website Karlheinz Deschners)
* Die zweite, von konkret völlig zu
Recht kritisierte Variante des linken Diskursinfarkts ist nicht
minder problematisch: Wer heute den Islam in angemessen radikaler
Form kritisiert, wird von vermeintlichen „Antiimperialisten“
umgehend als „Eurozentrist“ geoutet – als ob Humanismus
und Aufklärung allein europäische Traditionen wären,
die außerhalb Europas keinerlei Bedeutung hätten!
Giordano Bruno Stiftung
www.giordano-bruno-stiftung.de
Mastershausen, 15.3.2005
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